Der Duft des Bösen
sorgfältig darauf vorbereiten. Zum Beispiel, wie man herausfindet, welche Vorstellung wann beginnt, ob man zuvor, danach oder während des Films isst und was man zu sich nehmen möchte, und welches Verkehrsmittel man benutzt. Wie ein Kind musste er selten Entscheidungen treffen oder Verantwortung übernehmen. Das taten andere für ihn: Becky, das Kinderheim und sein Freund Monty, der Sozialarbeiter, Inez und Keith. Sogar Kim hatte einen Van besorgt, um mit ihm zum Kino zu fahren. Jetzt war er auf sich allein angewiesen. Und das werde ihm gut tun, hätte ein Psychiater vermutlich gesagt.
»Der Schatz in der Sixth Avenue« lief immer noch im Warner Village. Nie wäre er auf die Idee gekommen, dass es anders sein könnte. Er fuhr mit der Buslinie durch die Finchley Road daran vorbei, nicht um sich zu vergewissern, sondern um zu üben, wie man in den Bus steigt und eine Fahrkarte kauft und sichergehen kann, dass er auch in die richtige Richtung fährt. In einem Kinoprogramm in der Zeitung fand Inez für ihn die Anfangszeiten heraus. Mit Zahlen hatte er keine Probleme. Er fand es einfacher, sich vierzehn Uhr fünfzig, achtzehn Uhr zwanzig (in diese Vorstellung war er mit Kim gegangen) und zwanzig Uhr fünfunddreißig zu merken, als diese Informationen nachzulesen. Die Entscheidung, wann er gehen sollte, war da schon schwieriger. Wenn er sich für die erste Vorstellung entschied, müsste er samstags oder sonntags gehen, und an einem dieser Tage würde ihn sicher Becky einladen. Die Vorstellung, Becky ein zweites Mal abzusagen, beunruhigte ihn, denn dann würde sie ihn vielleicht nicht mehr lieben, und ihre Liebe war das Wichtigste in seiner Welt.
Zwanzig Uhr fünfunddreißig war sehr spät. Eine Regel aus dem Kinderheim, die ihm Monty eingetrichtert hatte, stand in Wills Verhaltenskodex noch immer an vorderster Stelle: Alle Insassen mussten um halb elf im Bett liegen. An jenem Abend bei Inez war er bis zwanzig vor elf aufgeblieben, weil er es so sehr genossen hatte. Und doch war er nicht wild darauf, sich noch einmal so spät schlafen zu legen. Und dann war da noch das Problem mit dem Abendessen. Das gab es bei ihm immer um sieben Uhr, doch wenn er um die gleiche Zeit ginge wie mit Kim, würde er um sieben im Kino sein. Um halb sechs hätte er noch nicht genug Hunger, und wenn er um neun vielleicht daheim wäre – vorausgesetzt, der erste Bus und auch der, in den er umsteigen musste, käme pünktlich –, wäre es zu spät. Mit Kim hatte er damals um Viertel nach acht gegessen. Dies wäre eine Möglichkeit, allerdings verunsicherte ihn der Gedanke, allein in eines dieser Cafés gehen zu müssen.
Angesichts dieser Schwierigkeiten wurde ihm ganz schwindlig. Am liebsten wäre es ihm gewesen, irgendjemand hätte ihm diese Last von den Schultern genommen. Dieser Jemand könnte Becky sein, doch das hieße, mit ihr zu telefonieren. Anrufe entgegennehmen konnte er, aber selbst hatte er noch nie jemanden angerufen. Natürlich würde sie sich bei ihm melden. Das müsste sie tun, um ihn für Samstag oder Sonntag einzuladen, und dann würde er sie fragen. Er würde sie einfach fragen, in welche Vorstellung er gehen und wann er essen solle. Vielleicht würde sie sagen: »Komm du mal diese Woche am Sonntag her, Will, dann kannst du am Samstagnachmittag um zehn vor drei deinen Film anschauen.« Stattdessen könnte sie vielleicht sogar sagen: »Komm du mal am Samstag herüber, dann kannst du am Sonntagnachmittag deinen Film anschauen.«
Vielleicht würde sie sogar mitkommen wollen. Das wäre fein, so wie es mit Becky immer war, doch da gab es eine Schwierigkeit: Wenn auch sie erst einmal von dem Schatz wüsste, würde sie ihm vielleicht suchen helfen wollen, und dann wäre es keine Überraschung mehr, wenn er ihr die Sache mit dem Geld und dem Haus erzählte. Becky zu überraschen und ihre Begeisterung zu erleben, war für Will fast so wichtig wie der Schatz selbst.
Am Donnerstag kamen vormittags und auch nachmittags wieder so viele Kunden in den Laden, dass es schon nach vier Uhr war, als Zeinab Gelegenheit fand, Inez ihre Neuigkeiten zu erzählen.
»Ich dachte schon, die Frau würde sich nie mehr wegen der silbernen Teelöffel entscheiden. So wie die getan hat, könnte man meinen, sie wären aus Platin. Wo wir gerade von Platin reden: Was halten Sie von meinem Verlobungsring? Den hat mir Morton beim Mittagessen gegeben. Passt perfekt. Er behauptet, er kennt die Maße meiner kleinen Schnuckelfinger – waren seine Worte,
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