Der Duft des Bösen
konnte: gedämpft, normal und ganz hell. »Sag’s noch mal.«
Sie wiederholte alles wortwörtlich und streckte Inez mit einem reumütigen Lächeln die Zigarettenspitze hin. Schnaubend schnappte Zeinab sie sich, wischte das Vorderteil mit einem Tuch aus und legte die Spitze oben auf das Spinett neben ein nachgemachtes Fabergé-Ei und ein Paar winziger Ballettschühchen. »Sie haben das Mädchen aus Nottingham identifiziert«, sagte sie zu Inez. »Diese Schlagzeile ist eine Schande, finden Sie nicht auch? Denen ist völlig egal, was sie in ihrer Zeitung schreiben.«
»›Mädchen aus dem Abfallhaufen arbeitete im Rotlichtmilieu‹«, las Inez. »Für ihre nächsten Verwandten ist das sicher ein wenig hart. Sie hieß Gaynor Ray, und der Fundort lag nur einen Steinwurf von der Wohnung entfernt, in der sie mit ihrem Freund zusammengelebt hatte.«
»Kommt darauf an, wie weit man einen Stein werfen kann. Rowley war vor ein paar Jahren Londoner Stadtmeister im Kugelstoßen. Er konnte einen halben Kilometer weit werfen.«
»Hier steht jede Menge darüber, was ihre Mutter gesagt hat. Offensichtlich hat das Mädchen keinen Vater gehabt. Außerdem – oh, sie finden Übereinstimmungen zwischen diesem Mord und den anderen Rottweilerfällen.«
»Absolut.« Zeinab hatte offenbar die ganze Geschichte auf dem Rückweg vom Zeitungshändler gelesen. »Sie wurde mit einer Schlinge erdrosselt, und das ist nun keine gewöhnliche Mordart, oder? Ihre Handtasche lag neben ihr unter all dem Mist und auch eine Einkaufstüte, in der sie wohl Lebensmittel gehabt hatte. Igitt, man möchte sich fast übergeben.«
»Ich überlege nur, was er mitgenommen hat. Ich meine, welchen kleinen Gegenstand?«
»Wenn er das damals schon gemacht hat. Wissen Sie, ich schätze schon. Ich denke, er hat in Nottingham gewohnt und vermutlich jede Menge Mädchen umgebracht. Nur hat man sie bisher nicht gefunden. Das wird alles noch herauskommen. In Russland gab es einen Mann, der hat über fünfzig Leute ermordet. Das habe ich irgendwo in einem Buch gelesen.«
»In Russland gibt viele schreckliche Dinge«, sagte Ludmilla und nahm sich aus der Tüte, die Freddy ihr hinhielt, eine Sternfrucht, vermutlich zum Ausgleich für die Zigarette, die Inez ausgedrückt hatte, als sie einen Moment unbeaufsichtigt in einem Wedgwood-Aschenbecher lag. »In Russland alles, was passiert, größer und schlimmer als anderswo. Ich das weiß, ich in Omsk geboren.«
Als sie das letzte Mal im Gespräch auf Russland gekommen waren, hatte sie Charkow als ihre Geburtsstadt bezeichnet. Irgendwie erwartete Inez von Ludmilla aber auch nichts als Fantasiegebilde. Flüchtig fiel ihr Jeremy Quick ein, doch dann griff sie zu einer jener Standardformulierungen, die sie vormittags bei Freddy anzuwenden pflegte: »Und wenn Sie uns jetzt entschuldigen möchten, wir müssen weitermachen.«
Die beiden ließen sich mindestens fünf Minuten Zeit, um gemächlich zur Hintertür zu schlendern. Ungeduldig sah Inez ihnen nach. »Ich frage mich, wie viele Kleinigkeiten sie noch hat mitgehen lassen, an die wir noch gar nicht gedacht haben«, sagte sie. »Freddy war es nicht, da bin ich sicher.«
»Am liebsten würde man alles anketten, wenn sie sich herumtreibt. Hier steht, das arme Mädchen ist schon mindestens ein Jahr tot. Auf dem Foto sieht sie nett aus, ganz attraktiv, und bestimmt ganz anders, als man sie jetzt gefunden hat. Wollen wir wetten?«
»Bloß nicht«, meinte Inez.
Nie wäre Mrs. Sharif auf den Gedanken gekommen, den Babysitter zu spielen, wenn da nicht dieser Fernseher gewesen wäre, der noch größer und vielseitiger war als ihr eigener, und dazu der Stapel Videobänder, das Chicken Tikka von Marks & Spencer und die Schachtel Godiva-Pralinen auf dem Tisch. All diese tollen Sachen machten die zweihundert Meter, die sie von ihrer Wohnung zum Dame-Shirley-Porter-Haus watscheln musste, mehr zum Vergnügen als zur lästigen Pflicht. Jedenfalls war es angesichts der Genüsse am Ziel eine erträgliche Last. Auch nachmittags kam sie oft überraschend vorbei, machte es sich zu einem Plauderstündchen mit Algy gemütlich und genoss dabei eine Tasse cremigen Cappuccino mit Schokoraspeln, die er für sie zu bereitete.
Reem Sharif war nie verheiratet gewesen. Das »Mrs.« war ein Ehrentitel, den sie sich nach dem früheren Vorbild der unverheirateten Köchinnen in den feinen Häusern selbst verliehen hatte. Kaum hatte sie Zeinabs Vater mitgeteilt, dass sie schwanger war, hatte er sich auch
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