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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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seiner Schwester zu begleiten.
    Als sie mit ihm nach der Party zurückging, war sie glücklich. Und dieses Empfinden brachte sie auch recht deutlich zum Ausdruck: »Ich genieße diesen Tag wirklich.«
    »Fein«, sagte er, »ich auch.« Lächelnd nahm er ihre Hand. Händchen haltend spazierten sie weiter über die Brücke und in die Princess Road hinein. Um fünf Uhr nachmittags schien die Sonne wärmer und heller als den ganzen Tag bisher.
    Wenn sie Will früher gesehen hätte, hätte sie vielleicht eine Möglichkeit gefunden, um zu verhindern, dass James mit ihr hinaufkam. Zumindest hätte sie ihn vorbereiten können. Doch sie hatte nicht ein einziges Mal zur Eingangstür geschaut, bis sie fast an der Treppe waren. Und dann fragte James: »Habt ihr damit häufig zu tun?« Im Klartext sollte das heißen: Habt ihr hier viele Penner, die vor eurer Haustür ein Nickerchen halten? Erst bei dieser Bemerkung wanderte ihr Blick zu dem schlafenden Mann hinunter. Sie spürte, wie sie im Gesicht und am Hals knallrot anlief.
    In dem Moment wachte Will auf. Er war immer sauber, jedenfalls wenn er aus dem Haus ging, aber nun lag er in der Sonne auf einer schmutzigen Treppe und hatte geweint. Sein Gesicht war tränenüberströmt. Blasse Rinnsale durchzogen eine Staubschicht. Seine Hände waren schwarz, seine Haare standen ab.
    Sie sagte: »Ach, Will …«
    »Ich habe gewartet, dass du wiederkommst«, sagte er, offenbar ohne James’ Anwesenheit zu bemerken. »Ich habe gewartet und gewartet.«
    James hingegen hatte ihn sehr wohl wahrgenommen. »Becky, kennst du diesen Mann?«
    Ausflüchte waren da sinnlos. »Er ist mein Neffe.«
    »Aha, ich verstehe.« Er sagte das in einem Ton, in dem Leute reden, wenn sie gar nichts verstehen und es auch nicht wollen. »Schau, vielleicht ist es am besten, wenn ich dich mit ihm allein lasse. Ich sollte dann wohl gehen.«
    Offensichtlich dachte er, Will sei betrunken oder high. Höchstwahrscheinlich hielt er ihn für einen Drogenabhängigen, der unbedingt seinen nächsten Schuss brauchte. Sie sah ihm nicht nach, als er ging, hörte aber den Wagen anspringen. »Komm hinein, Will«, sagte sie.
    Er erklärte nicht, warum er hier war. Das war auch nicht nötig. Sie verstand es voll und ganz. Sie hatte ihn nicht herübergebeten, und er hatte so lange gehofft und gebangt, bis er es schließlich nicht mehr aushalten konnte. Ein strahlendes Lächeln legte sich auf sein schmutziges Gesicht, und er plapperte los, während sie die Treppe hinaufstiegen: War das nicht ein schöner Tag? Hatte sie die ganzen Blumen gesehen, die jetzt hervorkamen? Nun war es wirklich Frühling, ja? Sie schickte ihn erst einmal zum Waschen und Kämmen ins Bad, während sie im Kühlschrank nach einer möglichen Mahlzeit für ihn schaute. Als sie die Wohnung aufsperrte, hatte er sehnsüchtig gemeint, er hätte den ganzen Tag noch nichts gegessen.
    Sie hatte noch Eier und ein Toastbrot. Im Gefrierfach fand sie Pommes frites, deren Verfallsdatum bereits überschritten war. Aber alte Pommes konnten doch nicht viel Schaden anrichten, oder? Sie briet zwei Eier, erhitzte die Pommes in der Mikrowelle, toastete das nicht mehr frische Brot und genehmigte sich nebenbei einen starken Gin Tonic. Obwohl sie schon fast eine ganze Flasche Wein getrunken hatte, brauchte sie etwas, um sich zu beruhigen und ihre Gefühle zu betäuben. Will aß gierig. Über alles schüttete er Tomatenketschup und schmierte sich eine Scheibe Toast nach der anderen. Er trank Cola, und sie kochte für beide Tee. Sie hätte unter keinen Umständen einen Bissen heruntergebracht. Seine Erziehung im Kinderheim hielt ihn davon ab, den Fernseher einzuschalten, ohne sie vorher zu fragen. Trotzdem sah sie die Bitte schon kommen. Im Laufe der Jahre hatte sie gelernt, seinen Gesichtsausdruck richtig zu interpretieren.
    Die Serie für Kinder unter zwölf und danach die banale Quizshow stellten ihn vollauf zufrieden. Vielleicht lag es auch daran, dass er in ihrer Wohnung war und sie ihm beim Fernsehen Gesellschaft leistete. Hellauf begeistert lachte er und warf ihr glückliche Blicke zu. Vorwürfe, Nachfragen würde es nicht geben, das war nicht Wills Art. Dass sie fort gewesen war, als sie hätte da sein sollen, dass sie es versäumt hatte, ihn einzuladen, dass sie ihn nicht angerufen hatte – all das war angesichts des gänzlich befriedigenden Jetzt vergessen. Er sah fern, er drückte den Kopf in die Kissen und verspeiste genüsslich aus einer Schachtel kandierte Früchte, die

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