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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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nicht zurückgegangen. Draußen vor ihrer Wohnungstür hatte er sich darauf vorbereitet, sie zu bitten, an seiner Stelle bei Becky anzurufen. Er hatte einfach keine Ahnung, wie er das anstellen sollte. Inez würde das schon machen und Becky fragen, warum sie ihn nicht angerufen hatte, wo sie gewesen und was schief gelaufen war. Mittendrin hatte er die Nerven verloren. Stattdessen war er jetzt unterwegs zu Becky und ging zu Fuß zur Gloucester Avenue, obwohl das ein weiter Weg war. Der Schatz in der Sixth Avenue, der ihn so sehr in seinen Bann gezogen hatte, war aus seinem Gedächtnis verschwunden, als hätte er dort nie einen Platz eingenommen.
    Eine Stunde brauchte er, um zu dem Haus zu kommen, wo im ersten Stock Beckys Wohnung lag. Inzwischen war es beinahe viertel vor zwei. Zum Frühstück hatte er nur ganz wenig gegessen und mittags gar nichts. Sein Appetit, jene zuverlässige Stütze seiner Existenz, war verschwunden. Sobald er Becky gefunden hätte und dort bei ihr in der Wohnung wäre, käme auch der Appetit wieder. Aber niemand reagierte, als er bei ihr läutete, an der zweiten Klingel von unten, neben der auf einem roten Schild ihr Name angebracht war. Er klingelte und klingelte. Sie konnte unmöglich fort sein und war es doch. Seine Fantasie reichte nicht aus, um sich bildlich vorzustellen, wo sie sein könnte. Dass sie nicht dort war, wo sie sein sollte, an dem Ort, wo er sie sich immer vorstellte, das allein genügte. Als Gefangene seiner Liebe musste sie sich stets in diesen Räumen aufhalten und an ihn denken. Und warten. Auf ihn.
    Ihm blieb nur noch ein Ausweg: Hier zu bleiben, bis sie kam. Sich auf die Treppe zu setzen, die zur Haustür hinaufführte, und auf sie zu warten. Wenn es im Vorgarten des Hauses einen Sitzplatz gegeben hätte, hätte er sich dort hingesetzt, aber hier gab es nur die Treppe. Dort saß er nun, im Frühlingssonnenschein. Eine Frau aus der Erdgeschosswohnung kam von ihrer Verabredung zum Mittagessen zurück, ging an ihm vorbei und wünschte ihm unsicher einen »Guten Tag« ; ein Pärchen, das ganz oben wohnte, musste über ihn klettern, weil er eingenickt war; ein Besucher, der in Hausnummer drei zum Tee eingeladen war, machte einen weiten Bogen um ihn, weil er ihn für einen Penner hielt.
    Als Becky mit James Hand in Hand nach Hause kam, schlief Will tief und fest.

7
    Zum ersten Mal seit Jahren nahm sich Becky in der Arbeit einen Tag frei. Sie hatte angerufen und mitgeteilt, dass sie nicht käme. Als Firmenteilhaberin musste sie weder einen Grund angeben noch sich entschuldigen. Sie fühlte sich ehrlich krank, schwach, müde und wackelig, was sicher damit zusammenhing, dass sie letzte Nacht kein Auge zugemacht hatte. Oder besser gesagt, gegen vier Uhr war sie endlich eingeschlafen. Um fünf hatte sie die Alarmanlage in einem Auto wieder aus dem Schlaf gerissen. Ihr wäre es am liebsten gewesen, wenn sie nie wieder an den gestrigen Nachmittag und Abend hätte denken müssen, und doch tat sie es immer wieder. Es war ein Albtraum gewesen – und war es noch.
    Sie hatte mit James, der sie mittags auf die Stehparty bei seiner Schwester mitgenommen hatte, eine schöne Zeit verbracht. Ein bisschen zu viel Wein hatten sie getrunken, aber schließlich hatten sie sich, dank des schönen Wetters, hauptsächlich draußen im Garten aufgehalten, und es waren interessante Gesprächspartner da gewesen. Das Haus lag ganz in der Nähe, in einer der Remisenreihen von Regent’s Park. James hatte sein Auto bei ihr in der Straße stehen gelassen, und sie waren zu Fuß hin und zurück gegangen, jedes Mal durch den Park. Will hatte sie völlig vergessen. Wenn sie überhaupt an ihn gedacht hatte, dann nur, um sich einzureden, er sei höchstwahrscheinlich irgendwo mit Kim unterwegs. Sie musste einfach mit der Gewohnheit brechen, ihn einmal pro Woche einzuladen, und jetzt wäre vielleicht der richtige Zeitpunkt für den ersten Schritt.
    Der gestrige Tag hatte gut angefangen. Selbstverständlich erkannte sie inzwischen, wie albern es gewesen war, dass sie voreilig Pläne fürs Wochenende geschmiedet beziehungsweise nicht geschmiedet hatte. Dass sie sich eingebildet hatte, James würde vielleicht nicht nur den Freitagabend mit ihr verbringen wollen, sondern auch noch den Samstag und den Sonntag. Dafür war es noch viel zu früh. Aber der Freitag war ein voller Erfolg gewesen, und sie war hoch erfreut, als er am Samstagvormittag noch vor ihrer Einkaufstour anrief und sie bat, ihn am nächsten Tag zu

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