Der Duft des Bösen
unbedingt klären musste. »Vermutlich hängt sie sehr an ihrer Mutter?«
»Sehr«, sagte er. Jetzt klang seine Stimme traurig, fand Inez. »Manchmal denke ich, adoptierte Kinder können ihren Adoptiveltern näher stehen als leibliche. Finden Sie nicht auch?«
Inez wusste kaum, warum sie so erleichtert war. Seit der Unterhaltung mit Jeremy in ihrer Wohnung waren ihr Belindas Alter und das ihrer Mutter nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Die einzige Erklärung dafür, dass sie als das Kind einer Zweiundfünfzigjährigen zur Welt gekommen war, war natürlich die wahre. »Ach, wurde Belinda adoptiert?«
»Ja, hatte ich das nicht erwähnt? Mrs. Gildon hat sie im Alter von zwei Monaten adoptiert. Sie und ihr Mann hatten bereits fünf Jahre zuvor einen Jungen adoptiert, doch der kann Belinda nicht viel unterstützen. Er lebt in Neuseeland.«
Sollte sie es ihm erzählen? Sie saß an ihrem Schreibtisch. In der Schreibtischschublade lag die Tüte mit dem Kreuz. Als sie den Griff berührte, meinte Jeremy: »Ich muss jetzt gehen. Ich möchte ganz früh da sein. Um Viertel nach neun habe ich eine Konferenz mit dem obersten Management.«
Inez begleitete ihn zur Ladentür. Sie hatte ziemliche Schuldgefühle. Schließlich hatte sie ihn verdächtigt, er würde lügen oder wenigstens fantasieren und seine Vergangenheit zurechtbiegen. Mehr war es ja nicht gewesen, und doch hatte sie das Gefühl, sie hätte bei ihm etwas wieder gutzumachen. »An welchen Abenden wird Belinda diese Woche nicht im Krankenhaus sein?«
»Das weiß ich nicht genau. Mittwoch, Donnerstag und vermutlich am Sonntag.«
»Wenn es geht, bringen Sie sie doch am Mittwoch auf ein Glas mit, ja?«
»Ich werde Ihnen Bescheid geben. Hoffentlich schaffen wir es.«
Da sie die Ladentür nun schon einmal aufgesperrt hatte, machte es keinen Sinn, sie wieder zuzusperren. Sie drehte das Schild auf »Offen«. Mr. Khoury war herausgekommen und kurbelte eben seine Markise heraus. Diesen Anblick mochte Inez genauso gern wie den, wenn man vor den Cafés die Tische auf den Gehsteig stellte. Auch wenn ihr vor dem Anblick der Pärchen graute, die daran sitzen würden. Immerhin bedeutete es, dass der Sommer nicht mehr weit war. Mr. Khoury winkte nie, stattdessen nickte er in einer Art verkürzter Verbeugung zu ihr herüber.
Sie ging wieder in den Laden und rief die Polizei an.
So weit Will zurückdenken konnte, war er noch nie hierher gekommen. Alles war fremd. Das Kinderheim war in Crouch End gewesen, im Londoner Stadtteil Haringey, Becky wohnte in Primrose Hill und Inez in Paddington. Diese drei Standorte begrenzten sein London, ein anderes kannte er nicht. Auch für Keith, dessen Arbeit ausnahmslos auf St. John’s Wood, Maida Vale und die nähere Umgebung der Edgware Road beschränkt war, war es eine Abwechslung, obwohl sein Elternhaus in dem Stadtteil lag, den sie gerade ansteuerten. Allerdings bogen sie lange vor Harlesden ab.
Das Wohnhaus, in dem sie momentan zu tun hatten, lag nicht direkt in Ladbroke Grove, sondern in einer Seitenstraße. Da Keith einen Parkausweis der Königlichen Stadtgemeinden Kensington und Chelsea hatte, brauchten sie weder Parkuhren zu füttern noch ständig den Van umzusetzen, um den Politessen zu entgehen. Diesmal waren sie für einen Vermieter tätig und nicht für einen Eigentümer, der selbst in der Wohnung lebte. In drei Zwei-Zimmer-Wohnungen sollten sie die Wohn- und Schlafräume streichen. Mit Augenzwinkern und einem leichten Rippenstoß hatte man Keith angewiesen, die Kosten niedrig zu halten und die Sache nicht allzu gründlich zu erledigen.
»Also habe ich zu dem gesagt«, sagte Keith, als sie mit ihrem Werkzeug die Treppe hinaufkeuchten, »habe ich zu dem gesagt: ›Es liegt mir nicht, nicht mein Bestes zu geben. Wenn Ihnen das nicht passt‹, habe ich gesagt, ›müssen Sie sich nach einem Pfuscher umsehen, der den Job erledigt. Ist Ihr Bier‹, habe ich gesagt. Er hat zwar ein bisschen die Nase gerümpft, aber sonst keinen Ton mehr gesagt. Man sollte doch meinen, dass es in so einem Haus einen Lift gibt, oder?«
Das meiste, was Keith gesagt hatte, überstieg Wills Begriffsvermögen. Nur die Sache mit dem Lift verstand er. »Stimmt«, sagte er.
»Daran ist nur die Geldgier schuld. Da hakt es heutzutage bei den Leuten. Schau dich nur mal um, dann merkst du, dass jeder nur auf Profit aus ist. Das ist der Grund für die Kriminalität, das treibt sie alle zu« – Keith suchte nach einem richtigen Satzende, aber es fiel ihm nur
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