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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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mehr als nur einen flüchtigen Blick auf ihn werfen konnte. Obwohl hier ständig Politessen herumgingen, schienen sie nie in der Nähe zu sein, wenn dieser Van draußen parkte. Hinter ihm hielt ein türkisfarbener Jaguar.
    »Da kommt Morton«, sagte Zeinab. »Er ist früh dran. Ich sagte um halb sechs. Männer!«
    Die letzte halbe Stunde hatte sie auf einem mit rosa Samt bezogenen Mahagonihocker vor jenem Spiegel verbracht, den sie als ihr Eigentum betrachtete, und die Spuren des Tages beseitigt. Sie hatte sich die Haare gebürstet, ihr Gesicht mit so raffinierten Utensilien wie Konturenstift, Augenbrauengel und Wimpernformer nachgeschminkt und die Fingernägel mit lila Glitterlack bemalt. Verächtlich schüttelte sie die Sandalen, die sie während der Arbeit trug, von den Füßen und schlüpfte in Pumps mit zehn Zentimeter hohen Absätzen, dann trippelte sie hinaus zum Auto hinüber. Sekunden später steckte sie den Kopf durch die Tür und sagte zu Inez: »Kann ich gehen? Morton hat schon den Champagner kalt gestellt und will unbedingt unseren Hochzeitstermin besprechen.«
    »Ab mit dir«, rief Inez lachend. »Mir ist schleierhaft, wie du da je wieder rauskommen willst.«
    Dabei fiel ihr Blick auf Zeinabs Hand, mit der sie die Tür aufhielt. Sie hatte Rowleys Verlobungsring gegen den daumennagelgroßen Stein von Morton Phibling vertauscht. Inez musste einfach lachen. Allein wartete sie bis sechs Uhr, dann machte sie die Ladentür zu und sperrte ab. Obwohl fast den ganzen Tag reger Kundenverkehr geherrscht hatte, hatte seit elf Uhr vormittags niemand mehr etwas gekauft. Kaum hatte sie das Türschild auf »Geschlossen« umgedreht, sah sie mit Befriedigung, wie Ludmilla und Freddy über die Straße kamen und sich nach einem Blick auf das Schild berieten, während Freddy vergeblich versuchte, die Türklinke herunterzudrücken. Schließlich gaben sie auf. Ludmilla grub in ihrer Schultertasche aus rotem Samt, fand ihren Schlüssel und sperrte den Mietereingang auf.
    Obwohl sich Zeinab täglich mit dem Staubwedel abmühte, wirkte der Laden ungepflegt und muffig, ging es Inez durch den Kopf. Sie suchte sich saubere Lappen und die Möbelpolitur und machte sich an die Arbeit. Innerhalb dieser vier Wände musste es hunderte, wenn nicht tausende kleiner Gegenstände geben, und jedes dieser Krimskramsstücke schien den Staub magnetisch anzuziehen. Sie ging methodisch vor. Zuerst hob sie jedes Väschen, jede Uhr, jedes Weinglas und jeden Bilderrahmen auf ein Tablett, dann staubte sie die Fläche ab, auf der die Dinge gestanden hatten, und stellte alles wieder an seinen Platz. Dann ging sie zum nächsten Tisch oder Pflanzenständer oder Schränkchen über.
    Wie immer bei dieser Tätigkeit dachte sie auch diesmal, dass es merkwürdig sei, wie viele winzige Gegenstände dabei ans Licht kamen, die sie vorher noch nie bewusst gesehen hatte. Dennoch musste sie sie gesehen haben, da nichts ohne ihr Wissen in den Laden kam und alles nummeriert und katalogisiert war. Tatsächlich, da stand auf der Unterseite dieses ziemlich fremden Parfümflakons aus Kristallglas eine Nummer auf einem kleinen Etikett und eine weitere auf der ägyptischen Katze mit den Ohrringen. Trotzdem konnte sie sich nicht im Geringsten an deren Herkunft noch an die vorherigen Besitzer erinnern.
    Das Schlimmste hob sie sich immer bis zum Schluss auf. Vielleicht sollte sie sich überlegen, die Dinge in dieser dunklen Ecke, die inzwischen von dem Jaguar bewacht wurde, umzustellen. Die Gipsstatue der Göttin gleich daneben nahm am meisten Licht weg. Auf dem runden Tisch dahinter mussten mindestens fünfzig Teile ausgebreitet sein: Teller und Tassen und Silberlöffel, kleine Emaildosen, Glasfrüchte, Broschen und viktorianische Hutnadeln. Geduldig begann sie, ein Stück nach dem anderen auf ihr Tablett zu legen.
    Erst dann sah sie es: ein Silberkreuz an einer zerrissenen Kette. Das Kreuz selbst war mit winzigen Blättern ziseliert. Gestern Abend hatte sie dieses Kreuz in den Nachrichten gesehen, in Großaufnahme, den ganzen Bildschirm ausfüllend. Sie fuhr zurück, schlug die Hand vor den Mund. Das war unmöglich. Nicht Gaynor Rays Kreuz, nicht genau dieses. Von der Art musste es Hunderte geben …
    Sie drehte es um und suchte nach dem Stempel, dem Beweis, dass es sich um Silber handelte. Da war er, auf der Rückseite des Kreuzes, doch es hatte kein Etikett mit einer Katalognummer. War es möglich, dass es ohne einen Eintrag im Katalog einigermaßen legitim hierher geraten

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