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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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im kleinen Bistro zum Lunch.
    Sie konnte nicht essen. Einfach nur lächerlich, wenn man aus innerer Anspannung – ruft er nun an oder nicht – den Appetit verliert, noch dazu in ihrem Alter, wo sie es eigentlich besser wissen müsste. Sie sehnte sich nach einem kräftigen Schluck, wusste aber genau, dass dies der erste Schritt in den Abgrund war. Ihr ganzes Erwachsenenleben lang hatte sich Becky gegen die Verlockung harter Getränke wehren müssen und ihr gelegentlich auch nachgegeben. Abgestürzt war sie nie, aber auch nie enthaltsam gewesen. Sie hatte täglich getrunken, einen kleinen Schluck oder auch ziemlich viel. Schon vor langem hatte sie sich in die gefährliche Lage manövriert, dass sie vor jedem großen Vorhaben, vor jeder Herausforderung oder bei alarmierenden Abweichungen von der Norm unbedingt etwas zu trinken brauchte. Oft weigerte sie sich, dieser Versuchung nachzugeben, aber der Kampf dagegen erschöpfte sie und ließ sie ausgeblutet zurück. Auch jetzt hatte sie eigentlich vor, dagegen anzukämpfen, aber auf Grund ihrer Müdigkeit und den noch immer nicht ganz verschwundenen Kopfschmerzen war ihr dieser Kampf zu viel. Sie gab nach.
    Die Flaschen mit Gin, Wodka und Whisky in ihrem Büroschrank waren nie ein Geheimnis gewesen. Wenn ein Gast oder Kollege für eine Besprechung kam, holte sie sie, neben Tonic und Mineralwasser, oft heraus. Immer vorausgesetzt, es war bereits halb sechs. Ihre Sekretärin wusste Bescheid und schloss sich manchmal am Ende eines harten Tages Becky an. Jetzt zog Becky den Cognac heraus und schenkte sich mehr als zwei Finger hoch ein. So würde sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: sich Mut machen und den Kater bekämpfen. Rasch stürzte sie das Glas hinunter, schenkte sich noch eines zum langsameren Genießen ein und versuchte, sich innerlich von Emotionen freizumachen. Dann wählte sie die Nummer für die Fernabfrage ihres privaten Anrufbeantworters.
    Sie hatte nur eine einzige Nachricht, und die kam nicht von James, sondern von Inez Ferry. Im Gegensatz zu den meisten Leuten hatte Inez den Zeitpunkt ihres Anrufs angegeben. Vor knapp einer halben Stunde. Noch im Abhören musste Becky sich setzen, so schockierend war diese Nachricht.
    »Becky, hier ist Inez. Es ist dringend. Heute ist Donnerstag, der fünfundzwanzigste April, dreizehn Uhr fünfundvierzig. Ich wusste ja, dass Sie nicht zu Hause sein würden, aber ich habe weder Ihre Büronummer noch die von Ihrem Handy. Hören Sie, Becky, man hat Will verhaftet. Er wird seit gestern Abend festgehalten. Die Polizei war hier, der Detective Inspector hat es mir gesagt. Rufen Sie möglichst schnell bei mir an.«
     
    Inez hatte versucht, Crippen zu erklären, dass Will nicht ganz – nun, selbstverständlich war er nicht zurückgeblieben, diesen Ausdruck verwendete man nicht mehr. Das sollte er wirklich wissen, meinte sie empört, wobei sie ihn mit einem ärgerlichen Blick fixierte.
    »Ist ja gut, ist ja gut, regen Sie sich nicht auf«, sagte Crippen. »Auf mich macht er eigentlich einen ziemlich normalen Eindruck. Er spricht zwar nicht, aber das ist bei so etwas nichts Neues. Von denen haben viele das Schweigen zur Kunstform erhoben.«
    »Will ist gar nicht in der Lage, etwas zur Kunstform zu erheben, wie Sie sich ausgedrückt haben. Was wird ihm denn vorgeworfen? Haben Sie ihm einen Anwalt besorgt?«
    »Mrs. Ferry, es gibt keinen Grund, sich zu erregen. Ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgebracht sind. Cobbett hat nicht um einen Rechtsvertreter gebeten und auch nicht gefragt, ob er telefonieren dürfe. Eigentlich sollten Sie es zu schätzen wissen, dass wir unsererseits so – äh, so – wie heißt das Wort doch gleich wieder?«
    »Dumm?«, warf Freddy ein. »Ignorant? Bigott?«
    Trotz ihrer Bestürzung musste Inez einfach lachen. Ihre Haltung gegenüber Freddy besserte sich spürbar. »Vermutlich meinen Sie großherzig«, sagte sie. »Jedenfalls bin ich anderer Meinung. Anscheinend realisieren Sie nicht, dass Sie einen Mann festhalten, der geistig auf einer Stufe mit einem kleinen Jungen steht, und ihn wie einen x-beliebigen – alten Knastbruder behandeln. Was soll er denn eigentlich getan haben?«
    »Das können wir Ihnen nicht mitteilen«, sagte DC Jones, der Crippen begleitet hatte. »Es genügt wohl, wenn ich Ihnen sage, dass wir derzeit die Gegend Queen’s Park/Harrow Road umfassend nach Beweisen durchsuchen.«
    »Welche Beweise?«
    Keiner der Polizisten gab ihr eine Antwort, nur Freddy meinte trübselig:

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