Der Duft des Bösen
Mühe?« Anwar knallte das Fenster herunter. Der Lärm trieb die Katzen auseinander. »Scheißmiezen«, sagte er. »Vielleicht ist es am besten, wenn ihr es euch nicht merkt. Es reicht, wenn ich die Nummer kenne. Bis zum sechsten ist es noch eine Woche hin. Kapuzenmützen oder schwarze Strümpfe reichen. Selbstverständlich Turnschuhe.« Missbilligend beäugte er die Zehn-Zentimeter-Absätze an Julittas Cowboystiefeln, dann wanderte sein Blick genauso angewidert zu Keefers Händen weiter, der gerade mit einer frischen Mischung beschäftigt war. »Nächstes Treffen hier, am Sonntag, nachts. Am Sechsten gehen wir punkt zwölf Uhr mittags rein. Vielleicht könntet ihr Typen dann wenigstens vormittags die Pfoten vom Gras lassen. Und vom Sprit.« Letzteres war auf Flint gemünzt, einen bekannten Wodkasüffler. »Jetzt könnt ihr euch alle verpissen. Ich geh ins Bett.«
Julitta war so schockiert, dass sie ihre Rolle als Komikerin vergaß und fragte: »An, was ist mit dir los? Es ist noch nicht mal Mitternacht.«
»Ich bin jünger als ihr, wisst ihr das nicht mehr? Ich muss noch wachsen und brauche meinen Schlaf.« Zum Beweis gähnte er lauthals und scheuchte sie zur Tür, wobei er mit den Händen durch die Luft wedelte wie jemand, der einen Hühnerhaufen vertreibt. Mit Gebrüll und Gequietsche polterten sie die von Holzwürmern zerfressene, kahle Treppe hinunter und weckten dabei im Vorübergehen die Mieter in ihren Wohnungen auf und pusteten ihnen Haschischwolken unter den Türen hindurch. Sie taumelten auf die Straße hinaus, hinein in Keefers schmutzigen weißen Van mit dem Nicht-Waschen-Schild im Rückfenster. Vor dem Wegfahren drehte Keefer das Radio bei voller Lautstärke auf einen Kanal mit Garagesound und kurbelte alle Fenster herunter.
Ganz leise schloss Anwar seine Tür. Zuerst machte er sich einen Becher Vollmilchkakao, sein Lieblingsgetränk. Während er ihn ein wenig abkühlen ließ, zog er den dunkelgrauen Nadelstreifenanzug aus und hängte ihn im Schrank auf einen Kleiderbügel. Sein weißes Hemd ließ er für morgen zum Waschen auf den Boden fallen. Jeans, T-Shirts, Lederjacken oder Stiefel besaß er nicht.
Der jünger aussehende Sechzehnjährige war der einzige Sohn eines Arztes, der als kleiner Junge von Bombay nach London gekommen war, und seiner Frau, einer Collegelehrerin. Beide hatten noch drei Töchter und wohnten, dank ihres Wohlstandes, in einem großen Einfamilienhaus in Brondesbury Park, unweit der Gemeinschaftspraxis, zu der Dr. Ghosh gehörte. Anwar besitze, so hatte man seinen Eltern erklärt, einen phänomenal hohen IQ, sei garantiert ein Anwärter für Oxford, würde sehr wahrscheinlich die Sekundarstufe in zehn Fächern abschließen und ein Jahr früher sein Abitur machen.
Doch das war vor achtzehn Monaten gewesen, und die Sekundarstufe war immer noch nicht abgeschlossen. Ob die Freunde, mit denen er Umgang pflegte, Anwar verdorben hatten, oder er sie, stand nicht fest. Seine Eltern stellten keine Erkundigungen an, so wie sie die meisten Details des Lebens, das er führte, nicht kannten. Selbstverständlich wussten sie darüber Bescheid, dass er die Schule schwänzte. Darüber hatte sie die Schule informiert. Und ihnen war klar, dass man unmöglich sagen konnte, ob er in seinem Pensum auf Grund seiner geringen Anwesenheit oder aus anderen Gründen zurückgefallen war. Doch was das Zimmer betraf, das er in der St. Michael’s Street in Paddington gemietet hatte, und die erfolgreichen Verbrechen, die er mit seinen Kumpanen verübte, davon hatten sie nicht die geringste Ahnung. Ihnen gegenüber war er dermaßen höflich und so sauber in seinem Erscheinungsbild und so aufgeweckt und talentiert, dass sie mit Ausnahme der Tatsache, dass er nur selten zur Schule ging, keinen Fehler an ihm zu entdecken schienen. Und doch tadelten ihn beide fortwährend wegen genau dieses Versagens.
Er müsse die Universität besuchen. Es wäre absurd, wenn von all seinen Zeitgenossen gerade er, ein natürlicher Anwärter auf Oxford und Cambridge, diesen entscheidenden Ausbildungsabschnitt verpassen würde, während selbst die schwächsten Notenkandidaten sich irgendwo an einem ehemaligen Polytechnikum einschrieben. Während einer gewissen Zeit fuhr ihn Dr. Ghosh sogar in die Schule und parkte am Eingangstor, um sich zu vergewissern, dass er nicht wieder herauskam. Natürlich verduftete Anwar durch die Turnhalle, ging über den Parkplatz und verschwand still und heimlich durch irgendeinen Hinterhof. Das
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