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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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Umständen verhalten, ging es Inez durch den Kopf. Einen Augenblick sah sie lebhaft Martins Gesicht vor sich, wie er gegenüber der Tante des armen Jungen, den seine Männer fälschlicherweise verhaftet hatten, liebevolles Mitgefühl zeigte. Wenn sie heute Abend endlich wieder daheim wäre, würde sie das alles hinter sich lassen und »Forsyth und die verlorene Hoffnung« anschauen. Sie würde einfach alle vergessen, Will und Becky und Freddy und Zeinab und ihrer Therapie frönen …
    Man brachte Will herein. Wie ein Zombie bewegte er sich ganz mechanisch mit steifen Beinen und hängendem Kopf. Becky lief zu ihm hin und umarmte ihn innig. Er ließ es geschehen und starrte mit leeren Augen über ihren Kopf auf das Fenster und die langen schrägen Strahlen der Nachmittagssonne. Dann hob er, wie einer, der zum ersten Mal diese Bewegung lernt, langsam und verwundert die Hände und legte sie auf ihren Rücken.
    Auch als sie dann im Wagen saßen – Inez auf dem Rücksitz, er neben Becky auf dem Beifahrersitz –, gab er kein Wort von sich. Ein Gutes hatte das Warten ja, dachte Inez, wenigstens musste Beckys Körper inzwischen den Alkohol in ihrem Blut abgebaut haben. Offensichtlich hatte die Polizei nichts davon gemerkt. Es herrschte dichter Verkehr. Von Maida Vale bis zum Marble Arch hinunter, jede Spur Stoßstange an Stoßstange, und in der entgegengesetzten Richtung nicht viel besser. »Donnerstagabend«, sagte Inez. »In der Oxford Street haben die Geschäfte länger geöffnet.«
    »Selbstverständlich werde ich Will mit mir nach Hause nehmen«, meinte Becky. »Allein kann er nicht bleiben.«
    Zu ihrer Schande war Inez enorm erleichtert. Statt für einige Stunden Martins Gesellschaft zu genießen, hatte sie sich selbst schon die Treppe auf und ab rennen gesehen, um Will zu hätscheln und zu füttern und dabei ständig zu Anrufen bei Becky verpflichtet zu sein.
    »Vermutlich wird er sich einige Zeit freinehmen müssen?«
    » Er ? Das sollte eigentlich unsere geringste Sorge sein. Was ist mit mir?«
    »Entschuldigung, Becky, tut mir Leid. Haben Sie irgendetwas über seine vermeintliche Tat herausgefunden? Warum er irgendwo in Queen’s Park gewesen ist?«
    »Es hieß, man wolle ihn noch einmal sprechen, aber das sagen sie wahrscheinlich immer. Sie haben ihn beim Umgraben eines Gartens ertappt, und als man ihn dazu befragt hat, wollte er nicht antworten. In Wahrheit war er dazu natürlich gar nicht in der Lage. Er kann nicht reden. Ich würde sagen, er hat die Fähigkeit zu sprechen verloren, ganz eindeutig. Ganze Heerscharen von denen haben dort sämtliche Gärten in der Umgebung aufgegraben und Schuppen und Garagen durchsucht. Das hat man mir erzählt, aber warum, wollten sie nicht sagen. Vermutlich hat man Jacky Millers Leiche gesucht.«
    Will blieb stumm. Sein Gesicht wirkte nicht undurchdringlich, sondern eher leer. Das Letzte, was Inez von den beiden sah, während Becky die Star Street hinunterfuhr, waren sein Kopf und die Schultern im Profil, ausdruckslos, starr und leblos wie die Marmorbüste, die Freddy Anwar Ghosh zu verkaufen versucht hatte.
    Der Laden war verschlossen, wie es sich um diese Uhrzeit gehörte. Inez sperrte auf und fand auf dem Schreibtisch einen mit Fingerabdrücken verschmierten Zettel, den Freddy mit Filzstift geschrieben hatte: Kunte wo Stantur geckaufft hat sagt geht nicht, Pendell komisch, brinkt morken widder. Grus, Freddy.
    Für den Schaden an der Uhr war gewiss Freddy selbst verantwortlich. Heute Abend konnte sie nichts mehr dagegen tun. Sie prüfte, ob die Ladentür erneut verschlossen war, ließ die Notiz an Ort und Stelle liegen und trat in den hinteren Flur hinaus. Die Abfalltonne aus dem Hinterhof musste für die Müllabfuhr bis acht Uhr früh draußen stehen. Inez wusste, dass sie das trotz ihrer Müdigkeit erledigen musste. Die Hintertür war versperrt, wie immer steckte der Schlüssel. Und doch war es nicht ganz so wie immer. Zum Abschließen konnte man den Schlüssel mit dem asymmetrischen Kopf ein Mal oder anderthalb Mal umdrehen; in beiden Fällen war die Tür versperrt. Aus reiner Gewohnheit oder irgendeinem inneren Drang heraus drehte sie ihn immer anderthalb Mal herum. Dann zeigte das Loch in dem schiefen Kopf nach unten; bei nur einer Umdrehung schaute es nach oben. Freddy musste wegen irgendetwas hinausgegangen sein, das war alles. Damit gab es schon zwei Dinge, die Freddy morgen würde beantworten müssen …

15
    Mit dem Schlimmsten hatte Becky nicht gerechnet und

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