Der Duft des Jacaranda-Baums (German Edition)
konnten, und so brach die ganze Familie nach Down Under auf.
Der Abschied von ihrer Großmutter, die nachfolgende Beerdigung und wahrscheinlich auch die Gewissheit, lange Zeit nicht mehr herkommen zu können, müssen meine Mutter sehr mitgenommen haben. Als mein Vater mit ihr frühere Freunde in Adelaide besuchte, setzten bei meiner Mutter die Wehen ein, und so kam ich im siebten Monat in Australien zur Welt. Natürlich wurde ich nach meiner damals gerade verstorbenen Urgroßmutter benannt – Sarah Elizabeth.«
Oliver grinste. »Was für ein Start ins Leben.«
Daraufhin schwiegen beide und betrachteten die träge dahingleitenden Boote, die sich wie Spielzeuge auf dem endlosen Pazifik verloren. Sarah lehnte sich auf den Ellbogen des gesunden Arms zurück und legte den Kopf in den Nacken, der Sonne entgegen. Sie genoss die wohlige Wärme. Nach einer Weile begann sie wieder zu sprechen.
»Jetzt weißt du so viel über mich. Du hast mich praktisch im schlimmsten Moment meines Lebens kennen gelernt. Was war dein schlimmster Augenblick? Du hast mir im Krankenhaus erzählt, dass die Frau, die dir wichtig war, aus deinem Leben verschwand. Ist sie mit einem anderen fortgegangen?«
Nachdenklich ließ Oliver den Blick wieder über das Wasser gleiten. Als er Sarah ansah, war er sehr ernst geworden.
»Nein, Kelly ist nicht mit einem anderen durchgebrannt.« Er zögerte kurz. »Sie ist an Leukämie gestorben. Das war ohne Zweifel das Furchtbarste, was ich bisher erlebt habe – Kellys Sterben.« Er machte eine kleine Pause und atmete tief durch. »Nicht nur, dass ich sie hergeben musste -ja, dass ich die Gewissheit hatte, sie zu verlieren -, viel schlimmer war zusehen zu müssen, wie es ihr immer schlechter ging, wie sie litt und ich nichts, rein gar nichts dagegen unternehmen konnte.« In Gedanken versunken, wanderten seine Augen die Küste entlang. Ein leises Lächeln umspielte plötzlich seinen Mund.
»Du hättest sie sehen müssen, als wir uns damals kennen lernten. Sie war so fröhlich, so gesund und unternehmungslustig. Nichts war ihr zu viel. Wir hatten eine solche Menge Pläne ... Wir blieben zusammen und bekamen wenig später Samantha, unsere Tochter. Dann war sie ständig müde und fühlte sich krank. Schließlich kam die Diagnose, und es ging nur noch bergab. Sie hat sich alle Mühe gegeben, aber die Chemotherapien hauten sie förmlich um. Sie magerte total ab, verlor nicht nur ihr Haar, sondern jegliche Kraft und Zuversicht. Zunächst schien sie ihren Zustand zu hassen, dann ihren Körper, der nicht mehr so funktionierte, wie sie es gewohnt war, und dann fing sie glaube ich an, sich selbst zu hassen und vielleicht auch mich.«
Oliver fuhr sich über die Schläfen, als könnte diese Geste die Härte der Bilder, die ihm plötzlich vor Augen standen, abmildern.
Sarah schwieg versteinert. Solche Erinnerungen hatte sie wahrhaftig nicht in Oliver wachrufen wollen. Er schien jedoch nicht zu bemerken, dass sie sich Vorwürfe machte, denn er fuhr fort: »Nie, nie in meinem ganzen Leben werde ich ihren Gesichtsausdruck vergessen, als sie mich aus ihrem Krankenzimmer hinauswarf. Sie war so zerbrechlich, und sie litt unsagbar. Nach der erneuten Chemotherapie musste sie sich dauernd übergeben. Als ich ihr helfen wollte, stieß sie mich weg. Sie bekam schlecht Luft, und ihre Augen starrten mich fast schon böse an, während sie versuchte wieder zu Atem zu kommen. Ich habe immer noch manchmal Albträume und sehe diese Szene vor mir. Es lag so etwas Endgültiges in ihrem Blick.
›Oliver‹, sagte sie, ›ich will, dass du gehst und nicht mehr wiederkommst. Hast du das verstanden? Du brauchst deine Kraft für unsere Tochter. Kümmere dich um Sammy. Versprich mir das!‹ Ich hatte nach ihrer Hand gegriffen und gesagt, dass ich bei ihr bleiben wolle, dass ich sie liebe. Doch sie schloss müde die Augen und schüttelte den Kopf. ›Nein, Olli, du liebst die, die ich einmal war. Bitte, lass mich einfach gehen. Ich will nicht, dass du dich so an mich erinnerst. Denk an unsere schönen Zeiten. Versuch mich zu verstehen -und geh. Ich bin doch schon tot, verdammt noch mal!‹« Oliver hatte den Kopf gesenkt und betrachtete eingehend seine Schuhe. Es fiel ihm schwerer, als er angenommen hatte, über Kellys Tod zu sprechen. Genau genommen hatte er mit noch niemandem so offen darüber geredet, aber er spürte, dass es richtig war, es einmal loszuwerden. Und so wie Sarah ihm ihr Vertrauen geschenkt hatte, vertraute er nun ihr.
Weitere Kostenlose Bücher