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Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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spielen. Sie hatte im Fernsehen einen Beitrag über eine berühmte Cellistin gesehen, die beste der Welt vermutlich, die krank wurde und daraufhin anfing, Töne zu vergessen und den Bogen fallen zu lassen, und bald konnte sie nicht mehr spielen, und ihr Mann – selbst ein berühmter Musiker – verließ sie wegen einer anderen Frau.
    Auch diese Geschichte hatte meine Mutter mir erzählt, während wir abends unser aufgetautes Fischgericht aßen. Der Ehemann hatte mit der Schwester der berühmten Cellistin geschlafen, berichtete meine Mutter. Nach einer Weile konnte die Cellistin auch nicht mehr laufen. Nur noch im selben Haus im Bett liegen, in dem ihr Mann mit ihrer Schwester schlief.
    Und das noch im Zimmer nebenan. Was soll man dazu sagen, Henry?, fragte meine Mutter.
    Das ist übel, sagte ich, obwohl sie keine Antwort erwartete.
    Cellospielen lernte meine Mutter also aus Hochachtung vor Jaqueline du Pré, wie sie mir sagte. Sie nahm keinen Unterricht, mietete sich aber in einem Musikladen in einer Nachbarstadt ein Cello. Es war ein bisschen klein geraten, weil es eigentlich ein Cello für Kinder war, aber meine Mutter fand, für den Anfang reiche das aus. Wenn sie
besser wurde, konnte sie sich auch etwas Größeres anschaffen.
    Es geht ihr gut, sagte ich zu meinem Vater. Sie wird nur manchmal traurig, wenn Leute sterben. Wie Jaqueline du Pré zum Beispiel.
    Du könntest auch bei Marjorie und mir leben, sagte er. Mit Richard und Chloe zusammen. Wenn du das möchtest, können wir die Sache vor Gericht austragen. Dann würde man sie evaluieren.
    Mom geht’s echt gut, sagte ich. Morgen kommt ihre Freundin Evelyn zu Besuch. Dann spiele ich mit Evelyns Sohn Barry.
    (Blah blah guu guu, dachte ich. Buby duby soso. Eine Unterhaltung mit Barry.)
    Ich sah meinen Vater an, als ich diese Sachen sagte. Wenn er weiter gefragt hätte, dann hätte ich ihm vielleicht auch mehr erzählt – ihm erklärt, wer Barry war und was meine Mutter und Evelyn machten, wenn sie zusammensaßen. Dass sie gemeinsam darüber nachdachten, sich vielleicht auf dem Land eine Farm zu kaufen, wo sie ihre Kinder zuhause unterrichten und ihr eigenes Gemüse anpflanzen würden. Um nach einer makrobiotischen Diät zu leben, mit der man Barrys Gehirnzellen aktivieren könnte, diejenigen, die zur Zeit nicht so gut funktionierten. Dort wollten sie dann den Strom mit Solarzellen erzeugen. Oder mit dem Wind oder dieser Maschine – die Barrys Mutter im Fernsehen gesehen hatte –, mit der man den Kühlschrank betreiben konnte, indem man jeden Morgen eine Stunde auf einem fahrradartigen Gerät in die Pedale trat. So konnte man Geld
für den Strom sparen und gleichzeitig abnehmen. Letzteres hatte meine Mutter allerdings nicht nötig, im Gegensatz zu Evelyn.
    Aber schon als mein Vater auch nur den Anfang dieses Berichts über die lebhaften Aktivitäten meiner Mutter hörte, sah er erleichtert aus, was ich schon vorher geahnt hatte. Ich wusste, dass er eigentlich keine Lust hatte, mich bei sich aufzunehmen. Und auch ich wollte nicht mit ihm und einer Frau zusammenleben, die ihre beiden Kinder – und mich, wenn ich bei ihnen war – als Zwerge bezeichnete. Oder als Kinderchen, ihr anderer Lieblingsausdruck.
    Obwohl ich der echte Sohn meines Vaters war und Richard nicht, mochte mein Vater Richard lieber. Immer wenn Richard in der Little League am Schlag war, erreichte er zumindest die erste Base, während ich bis zu dem Tag auf der Bank hockte, an dem mein Vater widerstrebend zugab, dass Baseball wohl nicht mein Sport sei. Eins stand jedenfalls fest: Bei den Holton Mills Tigers vermisste mich keiner, als ich aufhörte.
    Ich hab nur gefragt, weil sie mir irgendwie deprimiert vorkommt, sagte mein Vater. Und ich möchte nicht, dass du da etwas Traumatisches durchmachen musst. Ich will, dass sich jemand gut um dich kümmert.
    Mom kümmert sich prima um mich, sagte ich. Wir machen viele schöne Sachen zusammen. Wir bekommen Besuch von Freunden und haben Hobbys.
    Wir lernen Spanisch, fügte ich hinzu.

4
    Er wurde natürlich in der ganzen Stadt gesucht. Frank. Sie unterbrachen das Fernsehprogramm schon vor den regulären Nachrichten um sechs. Man nahm an, dass der entflohene Häftling nicht weit gekommen sein konnte, da er verletzt war und die Polizei in weitem Umkreis Straßensperren errichtet hatte – und durch unsere Stadt führten ohnehin nur zwei große Straßen.
    Franks Gesicht tauchte auf dem Bildschirm auf. Es war komisch, einen Menschen im Fernsehen zu sehen,

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