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Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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auf der Brust abgedruckt.
    Gib gut auf dich acht, Evelyn, sagte meine Mutter.
    Du auch.

    Pünktlich um neun Uhr, als die Bank aufmachte, waren wir dort. Nur meine Mutter und ich. Frank war noch zuhause. Sobald wir das Geld abgehoben hatten, wollten wir ihn zuhause abholen und dann losfahren Richtung Norden.

    In den letzten Jahren hatte ich immer das Geld von der Bank geholt, wenn wir welches brauchten, und meine Mutter war im Wagen geblieben. Ich nahm nie große Summen, und die Angestellten kannten mich. Diesmal meinte meine Mutter, sie müsste wohl selbst reingehen, da sie fast ihr gesamtes Geld abheben wollte.
    Sie hielt ihren Ausweis in der Hand und hatte sich so gekleidet, wie sie wohl glaubte, dass man aussehen müsse, wenn man elftausenddreihundert Dollar von seinem Sparbuch abheben wollte. Ich stand neben ihr. Zwei Leute waren noch vor uns dran. Eine alte Frau, die einen Haufen Münzen einzahlte. Und ein Mann, der einige Schecks einreichte.
    Dann waren wir an der Reihe. Die Hände meiner Mutter zitterten, als sie ihren Ausweis und den Auszahlungsbeleg auf den Schalter legte.
    Musst du denn heute nicht zur Schule gehen, mein Junge?, sagte die Bankangestellte. Ihrem Namensschild nach hieß sie Muriel.
    Mein Sohn hat einen Zahnarzttermin, antwortete meine Mutter.
    Ich wusste, dass sich das idiotisch anhörte. Sogar jemand wie meine Mutter würde einen Zahnarzttermin nicht auf den ersten Schultag legen.
    Dafür brauchen wir auch das Geld, fügte sie hinzu. Für eine feste Zahnspange.
    Liebe Güte, das ist aber teuer, sagte Muriel. Vielleicht wollen Sie mal den Kieferorthopäden ausprobieren, zu dem meine Tochter geht. Bei dem kann man in Raten bezahlen.

    Es ist auch noch für andere Sachen, sagte meine Mutter. Er braucht auch noch eine Blinddarmoperation.
    Ich sah sie an. Eine andere Operation war ihr wohl nicht eingefallen, aber das war die blödeste Idee überhaupt.
    Ich bin gleich wieder da, sagte Muriel. Bei einer so hohen Summe muss ich mir die Erlaubnis meines Vorgesetzten holen. Aber es gibt bestimmt kein Problem. Wir kennen Sie ja. Und Ihren Sohn.
    Eine Frau kam herein, die ihr Baby in einem Tragegestell auf dem Bauch trug. Ich schaute meine Mutter wieder von der Seite an. Manchmal machte ihr so ein Anblick sehr zu schaffen, aber diesmal schien sie es gar nicht zu bemerken.
    Ich hätte nicht so viel abheben sollen, flüsterte sie. Ich hätte es bei der Hälfte belassen sollen.
    Muriel kam zurück, in Begleitung eines Mannes.
    Das ist natürlich kein Problem, sagte der. Ich wollte nur sichergehen, dass alles reibungslos abläuft. Es ist recht außergewöhnlich, dass jemand so viel Geld in bar abhebt. Normalerweise bevorzugen unsere Kunden bei einer so großen Summe einen Scheck.
    Ich fand es so praktischer, sagte meine Mutter, die Hände in den Jackentaschen. Sie wissen ja, heutzutage ist das so ein komplizierter Prozess, bei dem man viel Zeit verliert.
    Nun, dann wollen wir unsere Freunde hier nicht warten lassen, sagte der Leiter zu Muriel.
    Er schrieb etwas auf ein Blatt Papier. Muriel zog eine Schublade auf und begann die Scheine abzuzählen. Die Hunderter waren zu Zehnerbündeln zusammengefasst.
Auch die zählte sie einzeln ab, während meine Mutter auf den Geldstapel schaute.
    Als Muriel alles abgezählt hatte, fragte sie, ob meine Mutter etwas zum Transport mitgebracht hatte. Aber daran hatten wir nicht gedacht.
    Im Auto, sagte meine Mutter. Sie kam mit der Tüte von dem Hamsterfutter zurück, das ich am Abend vorher ins Auto gepackt hatte. Das Trockenfutter hatte sie in den Abfalleimer neben dem Stehtisch geschüttet, an dem die Leute ihre Auszahlungsscheine und Überweisungen ausfüllten.
    Muriel sah etwas verstört aus. Ich könnte Ihnen ein paar von unseren Geldtaschen mit Reißverschluss geben, sagte sie. Hätten Sie gerne welche?
    Danke, ich finde das hier ganz gut, antwortete meine Mutter. Falls uns jemand überfallen sollte, würde niemand auf die Idee kommen, dass wir so viel Geld beim Hamsterfutter aufbewahren.
    Zum Glück gibt es hier ja nicht so viele Kriminelle, nicht wahr, Adele?, sagte Muriel. Sie hatte den Namen meiner Mutter auf dem Formular gelesen. Wahrscheinlich hatte man ihr das während der Ausbildung beigebracht: dass man den Vornamen der Kunden benutzen sollte.
    Abgesehen von diesem Mann, der letzte Woche aus dem Gefängnis geflohen ist, fügte sie hinzu. Das ist doch unglaublich, dass sie den immer noch nicht gefasst haben. Aber ich denke, der ist längst über alle

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