Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
Vom Netzwerk:
Catchen geübt hatten. Dass dieser Mann mit mir auf der Hintertreppe gesessen und mir einen Kartentrick beigebracht hatte. Er wand das Seil jetzt um meinen Brustkorb. Nahm sich keine Zeit für mehrere Knoten, sondern zog einfach die Schnur so fest zu, dass mir fast die Luft wegblieb. Machte nur den einen Knoten, für den ihm noch Zeit blieb. Das spielte später eine Rolle, als ein Reporter die Frage stellte, die wir befürchtet hatten: ob meine Mutter Frank gedeckt hätte. Denn ihr Sohn sei doch sehr nachlässig gefesselt gewesen. Und wieso Frank nicht bei ihnen gewesen sei, als sie zur Bank gegangen seien. Waren sie Opfer oder Täter gewesen?
    Sie hätte das Geld freiwillig abgehoben, behaupteten sie. War das nicht der Beweis dafür, dass die Frau mit Chambers unter einer Decke steckte?
    Aber er hatte sie gefesselt. Das war nicht anzuzweifeln. Und mich ja durchaus auch.

    Draußen kamen weitere Autos angerast. Die Megaphonstimme meldete sich wieder. Wir möchten kein Tränengas einsetzen müssen. Jetzt blieb keine Zeit mehr. Dies ist Ihre letzte Chance, das Haus freiwillig zu verlassen, Chambers, rief die Stimme. Doch Frank ging schon zur Tür. Setzte einen Fuß vor den anderen. Blickte nicht zurück.
    Er hielt die Hände über den Kopf, wie man ihn angewiesen hatte. Er hinkte noch immer leicht von seiner Verletzung, aber er ging geradewegs die Treppe hinunter auf den Rasen, wo sie mit Handschellen auf ihn warteten.
    Was dann geschah, konnten wir nicht mehr sehen, aber
kurz darauf kamen Polizisten hereingerannt und lösten unsere Fesseln. Eine Polizistin reichte meiner Mutter ein Glas Wasser und sagte, draußen warte ein Krankenwagen. Sie stünde vermutlich unter Schock, auch wenn sie es nicht merken würde.
    Keine Angst, Jungchen, sagte einer der Männer zu mir. Deiner Mom geht’s gut. Wir haben den Typen jetzt festgesetzt. Der wird dir und deiner Mom nichts mehr antun.
    Meine Mutter saß reglos auf dem Stuhl, ohne Schuhe. Dann begann sie ihre Handgelenke zu reiben, als vermisse sie die Fesseln. Wozu war Freiheit gut?
    Es regnete immer noch, wenn auch weniger heftig als vorher. Ich sah, wie Mrs. Jervis Fotos machte und Mr. Temple von einem Reporter interviewt wurde. Der Helikopter war inzwischen auf der Wiese hinter dem Haus gelandet, wo Frank und ich Catchen geübt hatten, wo er unseren Hühnerstall bauen wollte und wo seit diesem Morgen Joe begraben lag.
    Wusste ich doch, dass was nicht stimmte, sagte Mr. Jervis. Als ich vorgestern Pfirsiche vorbeibrachte, dachte ich, sie wollte mir irgendwas Verschlüsseltes sagen. Aber er muss sie die ganze Zeit im Blick gehabt haben.
    Ein kastanienbrauner Kombi fuhr vor. Mein Vater. Als er mich sah, lief er sofort zu mir. Was zum Teufel ist hier los?, fragte er einen der Polizisten. Ich dachte nur, meine Frau ist jetzt durchgedreht. Mit Ihnen habe ich hier nicht gerechnet.
    Jemand hat einen telefonischen Hinweis gegeben, sagte der Polizist.
    Sie schoben Frank jetzt auf den Rücksitz eines Streifenwagens.
Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt, und er hatte den Kopf gesenkt, wahrscheinlich, um die Kameras zu meiden. Bevor er endgültig im Wagen verschwand, blickte er noch einmal auf und schaute zu meiner Mutter herüber.
    Ich glaube, niemand außer mir hat es bemerkt. Er gab keinen Laut von sich, formte das Wort nur mit den Lippen. Adele.

21
    Die Anklage lautete auf Geiselnahme von meiner Mutter und mir. Diesmal würden sie den Schlüssel wegwerfen, wenn sie ihn einsperrten, hieß es.
    Als das meiner Mutter zu Ohren kam, setzte sie sich ins Auto – was sie ja sonst zu vermeiden versuchte – und fuhr mit mir in die Hauptstadt, um den Staatsanwalt aufzusuchen. Mich nahm sie als Zeugen mit. Sie sagte dem Staatsanwalt, er müsse begreifen, dass hier nichts Ungesetzliches stattgefunden habe. Sie hatte Frank aus freien Stücken in ihr Haus mitgenommen. Er hatte für sie gesorgt und ihren Sohn gut behandelt. Sie wollten heiraten, irgendwo in den Maritimen Provinzen. Sie hatten sich verliebt.
    Der Staatsanwalt war von der unerbittlichen Sorte. Er war kürzlich ins Amt gewählt worden, um den Krieg des Gouverneurs gegen die Kriminalität zu unterstützen. Man wird die Frage untersuchen müssen, erwiderte er, warum Ihr Sohn nichts gemeldet hat. Mein Alter würde in Betracht gezogen, aber es sei nicht auszuschließen – wenn auch nicht sehr wahrscheinlich –, dass man mich der Beihilfe anklagen würde. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Dreizehnjähriger im

Weitere Kostenlose Bücher