Der Duft des Sommers
Moment, um zu merken, wo ich war. Dann fiel es mir wieder ein.
Wir gehen weg, sagte ich, zu niemandem.
Ich wollte nur die Worte hören. Meine Stimme klang anders als gewohnt in dem leeren Zimmer, aus dem der Teppich und all meine Sachen verschwunden waren. Auf meinem Schreibtisch lag der Umschlag mit dem Brief für meinen Vater, den ich in der Tasche herumgetragen hatte. Sonst nichts.
Es regnete, und der Himmel war bleigrau. Ich dachte an die Kartons mit Büchern und Kleidern, die wir beim Second-Hand-Markt abgestellt hatten. Die waren jetzt ruiniert. Aber zum Glück war die Hitze endlich vorbei.
Jemand war in der Dusche. Frank, dem Pfeifen nach zu schließen. Ich ging nach unten. Es war noch sehr früh,
wahrscheinlich erst sechs Uhr, aber ich hörte meine Mutter herumräumen.
Ich sah sie in der Tür zur Waschküche stehen. Sie trug eine karierte Hose, die sie schon seit Ewigkeiten besaß. Mir fiel auf, wie dünn sie in letzter Zeit geworden war.
Ich muss dir was Schlimmes erzählen, sagte sie.
Ich schaute sie an und versuchte zu erahnen, was meine Mutter für schlimm hielt. Nicht dasselbe jedenfalls wie normale Menschen.
Joe, sagte sie. Als ich seinen Käfig zum Wagen tragen wollte, hab ich gemerkt, dass er sich nicht bewegt hat. Er lag nur da.
Ich lief an ihr vorbei in die Waschküche.
Er ist nur erschöpft, sagte ich zu meiner Mutter. Er rennt nicht gerne rum, wenn es heiß ist. Aber als ich ihm gestern Abend gute Nacht gesagt habe, hat er an meiner Hand geknabbert.
Joe lag auf der Zeitung. Seine Augen waren offen, aber sie blickten starr, und er hatte die Pfoten ausgestreckt wie einer der Superhelden, wenn sie zum Fliegen ansetzen. Sein Schwanz war unter ihm eingerollt, und sein Maul stand leicht offen, als wolle er was sagen.
Ihr habt ihn umgebracht, sagte ich. Ihr beide. Ihr wolltet nicht, dass er mitkommt, und da habt ihr euch überlegt, wie ihr ihn loswerden könnt.
Das ist nicht dein Ernst, erwiderte meine Mutter. Du weißt, dass ich so was nie tun würde. Und Frank auch nicht.
Ach ja? Wenn ich mich recht erinnere, hat er sein eigenes Kind sterben lassen.
Draußen im Garten war es noch ziemlich dunkel, und wegen des Regens war der Boden so schlammig, dass ich den Spaten kaum ansetzen konnte.
Während ich das Grab für Joe schaufelte, dachte ich über meine Entscheidung nach, die Polizei nicht anzurufen. Es ging mir nicht darum, mir das Zeug aus dem Skymall-Katalog zu bestellen. Ich wollte die beiden nur bestrafen. Frank der Polizei zu melden war eine angemessene Strafe.
Ich schwöre es dir, sagte meine Mutter. Sie war mir in den Garten gefolgt. Ich würde doch niemals einem Wesen etwas antun, das du liebst.
Ich schaufelte weiter. Und dachte daran, wie sie mir vor Jahren erzählt hatte, warum ich ein Einzelkind war. Ich stellte mir vor, wie sie im Garten des alten Hauses, in dem jetzt mein Vater lebte, ein Loch gegraben und den in ein Stofftaschentuch gewickelten Blutklumpen hineingelegt hatte, der mein Bruder oder meine Schwester hätte werden sollen. Und das andere Mal: die kleine Kiste mit Ferns Asche.
Frank war jetzt auch herausgekommen, doch als er zu mir gehen wollte, hielt meine Mutter ihn zurück.
Ich glaube, Henry möchte jetzt alleine sein, sagte sie.
Als ich loslief, wusste ich zuerst nicht, wo ich überhaupt hinwollte. Unterwegs merkte ich dann, dass ich zum Haus meines Vaters ging.
In einem der oberen Fenster brannte Licht. Mein Vater war bestimmt schon auf, trank unten in der Küche eine Tasse Kaffee und las den Sportteil der Zeitung. Marjorie würde bald herunterkommen, um Wasser heiß zu machen,
denn Chloe brauchte ihre Flasche immer gleich, wenn sie aufwachte.
Mein Vater würde seine Frau auf die Wange küssen und eine Bemerkung über den Regen machen. Es wäre bestimmt gemütlich in der Küche. Nur wenn wir bei Friendly’s waren oder wenn mein Vater versuchte, Richard und mich in ein Gespräch über unseren Lieblingsspieler der Red Sox zu verwickeln, hatten die beiden es schwer. Wenn man mich außer Acht ließ, waren sie eine ganz normale Familie.
Als ich merkte, wohin ich ging, hatte ich mir vorgestellt, wie ich an der Tür klingeln und zu meinem Vater sagen würde: Weißt du noch, als du dachtest, Mom sei verrückt? Okay, dann hör mal zu.
Um die Mittagszeit würde ich dann wahrscheinlich schon bei ihm wohnen. Meine Tasche war bereits gepackt. Ich müsste mir das Zimmer mit Richard teilen, was er scheußlich finden würde. Vermutlich würden sie ein Etagenbett
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