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Der Duft von Hibiskus

Der Duft von Hibiskus

Titel: Der Duft von Hibiskus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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hinter sie trat, um »nach dem Rechten zu sehen«.
    Schon dieser Ausdruck!, dachte Emma entnervt. Als wüsste er nicht genau, dass ich auch ohne seine Überwachung sorgfältig arbeite!
    Sie staunte selbst, wie mühelos sie mittlerweile akkurate Abbildungen hinbekam, die den Charakter der jeweiligen Pflanze betonten und dennoch die besonderen Merkmale nicht unrealistisch übertrieben.
    Ihr Tagesablauf hatte sich gut eingespielt: Vormittags zeichnete sie, nachmittags gingen Carl und sie zum Clan. Auf dem Zeichentisch stapelten sich die fertigen Blätter, und obwohl Oskar ihr eine ganze Menge Pflanzen auf den Tisch geknallt hatte – manch einer war diese rüde Behandlung nicht gut bekommen –, konnte sie auch heute wieder am frühen Nachmittag die Arbeit beenden.
    »Und jetzt in den Regenwald!«, sagte sie laut, legte den Bleistift beiseite und stand auf.
    Nun begann der wirklich spannende Teil des Tages!
    Doch in dem Moment trat Oskar in ihr Zimmer.
    Mit aggressiv vorgeschobenem Kinn fragte er: »Was treibst du eigentlich, wenn du mit Scheerer in den Regenwald gehst, Emma? Du sammelst ja keine Pflanzen, zumindest kann ich hier«, pro forma sah er sich um, »keine außer meinen entdecken.«
    Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich beobachte und dokumentiere die Heilkunst der Eingeborenen. Sie interessiert mich. Das habe ich dir doch schon erklärt.«
    »Ich hielt das für einen Scherz«, sagte Oskar überheblich. »Du hast doch gar nicht gelernt zu forschen. Abgesehen davon dürfte die medizinische Stümperei der Wilden es kaum wert sein, dass man sie erforscht. Wer bitte schön sollte einen Nutzen davon haben, etwas darüber zu erfahren?«
    »Jeder, der über seinen eigenen Tellerrand hinausschauen will«, schlug Emma vor. Sie hörte selbst, dass sie nun ebenso aggressiv klang wie er.
    Er schnippte sich ein Stäubchen vom Ärmel. »Lächerlich. Niemanden in Europa interessiert das.«
    »Was nicht für Europa spricht.«
    »Ach, wir sind von der Heimat enttäuscht? Wie traurig!« Er seufzte. »Traurig ist aber auch, dass Frauen immer gleich so hysterisch reagieren müssen, wenn ihnen etwas Unangenehmes widerfährt. Fräulein Röslin gefällt es nicht mehr im trauten Schwabenland, also mutiert sie hast-du-nicht-gesehen zur weißhäutigen Wilden. Findest du nicht selbst, dass das lächerlich ist?«
    »Keineswegs«, stieß Emma zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Weder mutiere ich zur Wilden, noch möchte ich die Eingeborenen so bezeichnen. Sie leben anders als wir, sie sehen die Welt anders als wir, sie heilen anders als wir. Dieses Andere möchte ich kennen lernen. Was genau ist dein Problem dabei, Oskar?«
    »Oh, keines, keines. Ich möchte dich nur davor bewahren, eine anständige, einträgliche Arbeit wie das Zeichnen aufzugeben, um stattdessen im Topf der Eingeborenen zu landen.«
    »Wie oft soll ich es dir noch sagen: Sie beabsichtigen nicht, mich zu kochen, herrje!«
    Er musterte sie mitleidig. »Noch nicht. Ach, Emma, du musst noch viel lernen. Solchen Menschen, die kaum höher stehen als die Tiere, ist nicht zu trauen.«
    Emma fehlten vor Wut die Worte. Gleichzeitig musste sie, ohne es zu wollen, an die Baumgeister denken, an die Geheimniskrämerei des Schamanen und an das Eukalyptusfeuer, das laut Birwain auf sie wartete.
    Eukalyptusfeuer – klang das nicht doch ein wenig nach Kochtopf? Emma schauderte.
    Doch dann riss sie sich zusammen. Wollte sie sich etwa von Oskar verunsichern lassen, gerade von ihm? Oh nein!
    »Ich muss gehen«, sagte sie abweisend. »Bleibst du hier, um dich über meine Zeichnungen aufzuregen, oder hast du auch noch eigene Arbeit?«
    Die spitze Bemerkung war ihr herausgerutscht, bevor sie sich eines Besseren besinnen konnte.
    Oskars Kiefer mahlten. »Meine Arbeit ist nie zu Ende, schon gar nicht am frühen Nachmittag. Auf mich kann sich Godeffroy verlassen.«
    »Auf mich auch!« Emma stieg die Hitze ins Gesicht. »Schau dir an, was ich in den letzten Tagen alles gezeichnet habe, wenn du an mir zweifelst! Schau dir an, ob ich dir auch nur den kleinsten Grund zur Unzufriedenheit gebe, und dann, Oskar, klage mich an. Aber keine Sekunde vorher!«
    »So viel Hochmut steht einer Frau nicht an, Emma«, sagte er kalt. »Und ich glaube auch nicht, dass er gerechtfertigt ist. Vielleicht sollte ich deinen Vorschlag tatsächlich befolgen und deine Zeichnungen eine nach der anderen durchsehen.« Er musterte sie lauernd. »Ich werde Fehler finden, verlass dich drauf. Und dann wirst

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