Der Duft von Hibiskus
du vor mir zu Kreuze kriechen.«
Bei diesen Worten sah Emma rot. »Niemals!«, zischte sie. »Niemals werde ich vor dir zu Kreuze kriechen, weder vor dir noch vor irgendjemand anderem. Diese Zeiten sind vorbei, hörst du?«
In Oskars Augen trat ein Ausdruck, bei dem Emma unwillkürlich einen Schritt zurücktrat.
»Das werden wir ja sehen«, sagte er leise.
Furcht kroch ihren Rücken hinauf, ihr Haaransatz fing an zu kribbeln. Nervös griff sie sich an den Nacken, ließ die Hand aber sofort wieder sinken. Oskar sollte nicht merken, dass er ihr Angst machte.
Grußlos drehte sie sich um, griff nach Papier und Bleistift und verließ mit geradem Rücken das Zeichenzimmer. Sollte er ihre Arbeit doch auseinandernehmen. Hauptsache, sie kam von ihm weg.
Erst als sie allein war und zu Carls Arbeitszimmer eilte, wurde ihr klar, was sie falsch gemacht hatte: Mit ihrem Beharren darauf, niemals vor Oskar zu Kreuze zu kriechen, hatte sie in ihm den verbissenen Ehrgeiz geweckt, Emma genau dazu zu bringen.
Unterwerfung gehört zur Natur der Frau, Liebchen.
Pagel war aus Ipswich zurückgekehrt und hatte dort nicht nur seinen Auftrag auf der Post erfüllt, sondern auch eingekauft: Eier, Zucker, Tee, eine Flasche Schnaps und Mehl. So konnten Emma und Carl dem Clan heute das versprochene Geschenk mitbringen, und Carl stöhnte unter der Last des schweren Sackes, den er sich über die Schulter geworfen hatte.
»Wer hatte eigentlich diese dumme Idee mit dem Mehl?«, keuchte er.
»Du«, sagte Emma. »Aber ich finde die Idee nicht schlecht. Wir werden Kuchen bekommen! Ich bin sehr gespannt, wie er schmecken wird.«
»Wenn du nur satt wirst …« Carl verzog in gespielter Verzweiflung das Gesicht.
Sie lachte. »He, ich bin auch am Schleppen! Immerhin trage ich nicht nur meine eigene Ausrüstung, sondern deine noch dazu. Du kannst dich also nicht beschweren. Sogar dein Gewehr hängt über meiner Schulter!«
»Darauf müsstest du doch stolz sein. Ich darf dich daran erinnern, dass du vor nicht allzu langer Zeit schießen lernen wolltest.«
»Was du mir nicht erlaubt hast«, sagte sie. »Zur Strafe musst du jetzt eben Mehlsäcke schleppen.«
»Bis ans Ende meiner Tage?«
»Mindestens. Vielleicht sogar darüber hinaus. Carl Scheerer, der mehlsackschleppende Baumgeist.«
Sie merkte, dass sie in Albernheiten abrutschte. Komischerweise tat ihr das gut. Sie wollte nicht an Oskar und an die unterschwellige Gefahr denken, die von ihm ausging. Wenn sie mit Carl scherzte, fühlte sich die Bedrohung weniger real an.
Carl blieb stehen, um ein wenig zu verschnaufen. Er setzte den Mehlsack ab und strich sich mit dem Unterarm über die verschwitzte Stirn.
»Apropos: Was meinte Birwain eigentlich damals, als er von dir und den Marmbeja sprach? Soviel ich weiß, sind das doch Baumgeister, oder?«
Emma nickte, und das heitere Gefühl und die Leichtigkeit verflogen. »Purlimil hatte mir schon vorher von ihnen erzählt. Aber Birwains Worte habe ich ebenso wenig verstanden wie du.«
»Du hast aber ausgesehen, als ahntest du, was er meinen könnte.«
Umständlich lud Emma Gewehr und Ausrüstung ab. Dabei mied sie Carls Blick.
»Die Marmbeja sollen mir helfen, aus meinem bösen Traum zu erwachen, meint Purlimil. Ich weiß nur nicht, wie sie das anstellen wollen. Ich habe keinen bösen Traum, sondern eine böse Vergangenheit. Wie sollten die Eingeborenen oder irgendwelche Geister wissen, was mir in Stuttgart zugestoßen ist?«
Carl fragte sanft: »Willst du es mir nicht endlich erzählen?«
Sie zögerte.
»Ich kann nicht«, antwortete sie dann, »weil ich mich nicht erinnere.«
Er starrte sie an. »Aber an Silvester hast du zu mir gesagt, du wolltest erst deinen Frieden mit der Vergangenheit machen, bevor du dich auf etwas Neues einlässt. Das waren deine Worte.« Impulsiv griff er nach ihrer Hand. »Emma, wie kannst du deinen Frieden machen, wenn du gar nicht weißt, womit?«
»Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen«, sagte Emma bitter. »Ich muss mich erst erinnern, um zu wissen, ob ich mir vergeben kann. Aber ich bin noch nicht sehr weit damit gekommen.«
Sie schluckte. »Purlimil und Birwain scheinen der Meinung zu sein, die Baumgeister könnten mir dabei helfen. Ich habe ja selber das Gefühl, dass hier die Heilung auf mich wartet.« Verlegen setzte sie hinzu: »Verrückt, oder?«
Ihr wurde bewusst, dass Carl noch immer ihre Hand hielt, sein Daumen strich über ihren Handrücken. Sie sah ihm in die Augen, entdeckte Verwirrung darin
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