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Der Duft von Hibiskus

Der Duft von Hibiskus

Titel: Der Duft von Hibiskus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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seit drei Stunden hier. Die Sonne geht bereits unter. Außerdem bin ich ziemlich nass, ich sollte also zurück ins Lager, um mich umzuziehen.«
    Ja, das sah sie. Obwohl umziehen es nicht ganz traf, schließlich trug er außer seiner tropfenden, eng anliegenden Hose nichts mehr, das er hätte ausziehen können.
    Sie schaute von ihrem Felsen auf ihn hinunter, und das merkwürdige Gefühl, das sie beim Zeichnen gehabt hatte, breitete sich in ihrem ganzen Körper aus, warm, betörend und beunruhigend. Hastig wandte sie den Blick ab, packte ihre Sachen zusammen und sprang auf.
    »Gehen wir!«, sagte sie eine Spur zu fröhlich, kletterte vom Felsen und huschte an ihm vorbei, ohne ihn anzusehen.
    Er griff von hinten nach ihrer Schulter, und sie zuckte zusammen.
    »Warten Sie«, sagte er.
    Mit klopfendem Herzen drehte sie sich um.
    »Darf ich vorstellen: Ihre ersten Kängurus.« Er deutete auf eine seichte Stelle am Ende der kleinen Bucht.
    Im orangefarbenen Abendlicht hatte sich eine kleine Herde graubrauner Tiere versammelt. Das also waren die berühmten Kängurus! Sie waren größer, als Emma erwartet hatte, mit kräftigen, langen Schwänzen, großen Ohren und possierlichen Schnauzen. Zwei Jungtiere boxten übermütig miteinander, ein anderes hatte den Kopf in den Beutel seiner Mutter gesteckt. Die restlichen Kängurus hockten in einer langen Reihe nebeneinander am Ufer und tranken. Platschend landete ein langschnäbeliger Vogel – ein Reiher? – nahe den Kängurus im Wasser. Blitzschnell fing er ein silbernes Fischlein. Es zappelte in seinem Schnabel, und Wassertropfen funkelten in der untergehenden Sonne.
    »Australien kann grausam sein, und viel zu heiß sowieso«, sagte Scheerer. »Aber auch magisch schön, finden Sie nicht?«
    »Ja«, sagte sie leise. »Magisch, das trifft es wohl.«
    Womit sonst als mit Magie war es zu erklären, dass Ludwig in diesem Moment zu spinnwebzartem Dunst verblasste? Dass nichts mehr zählte als die Freude daran, mit Carl Scheerer im Abendlicht Kängurus zu beobachten?
    Einige Augenblicke lang gab Emma sich dem unerwarteten Glücksgefühl hin. Doch dann rief sie sich zur Ordnung. Schluss mit der albernen Schwärmerei! Zugegeben, diese Bucht hatte etwas vom Garten Eden, und zugegeben, der Forscher neben ihr war ein Mann, der Frauen zum Träumen bringen konnte. Doch er war auch ein Mann, der keine Weiber im Busch mochte, wie sein Kollege Pagel es grob, aber treffend ausgedrückt hatte. Und zudem war er verheiratet. Zumindest hatte er es nicht geleugnet.
    Überhaupt war die ganze Sache merkwürdig, fand Emma, während sie den Kängurus beim Trinken zusah. Bei Scheerer passte nichts zusammen: seine anfängliche Abneigung dagegen, Emma mitzunehmen, und seine wenn auch distanzierte Freundlichkeit, seit sie aufgebrochen waren; seine Bestimmtheit, mit der er Oskar die Verantwortung für Emma übertragen hatte, und die Selbstverständlichkeit, mit der er sich dennoch um sie kümmerte, wenn Oskar seinen Pflichten nicht nachkam. Sie spürte, dass sie diese Widersprüche auflösen, Scheerers Geheimnisse ergründen, ihn kennen lernen wollte, besser kennen lernen als irgendjemanden sonst …
    Stopp! Magie hin oder her, das war zu viel!
    Bevor sie ihre verrückten Wünsche durch einen Blick oder ein unbedachtes Wort verraten konnte, drehte Emma sich um und entfernte sich mit raschen Schritten vom Ufer.
    »Moment mal, ich muss noch mein Hemd und meine Ausrüstung holen! Warum haben Sie es denn plötzlich so eilig?«, rief Scheerer hinter ihr her.
    Sie blieb widerwillig stehen und wartete auf ihn. In der untergehenden Sonne warfen die Eukalypten lange Schatten, und wo das Licht noch hinreichte, erglühte der Boden orangerot. Es war unglaublich romantisch, und Emma kämpfte verbissen darum, sich gegen die Schönheit ihrer Umgebung abzuschotten. Gegen die schmeichelnde Brise, die die Eukalyptusblätter zum Rascheln brachte. Vor allem gegen Carl Scheerers Anblick, als er – vollbepackt und nach wie vor sparsam bekleidet – auf sie zukam. Als sie zum Lager gingen, war er dicht hinter ihr, und sie nahm seinen Atem so intensiv wahr, als hörten ihre Ohren hundertmal schärfer als sonst. Ob auch er ihren Rücken betrachtete, so wie sie vorhin seinen betrachtet hatte? Ob ihr Äußeres ihm gefiel? Warum fragte sie sich das überhaupt?
    Endlich waren ihre Zelte in Sicht, und Pagel rief ihnen schon von Weitem vorwurfsvoll zu: »Da sind Sie ja endlich! Wir haben alle schon Hunger!«
    Selten hatte Emma sich beim

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