Der Duft von Hibiskus
Schülerin ernst.
Wäre es zu diesem Zeitpunkt nicht schon um sie geschehen gewesen, so hätte sie sich spätestens in Ludwig verliebt, als er zu spielen begann. Die Stücke, die er ihr vorschlug, waren weder besonders anspruchsvoll noch ungewöhnlich, doch so wie Ludwig sie spielte, wurden sie zu Offenbarungen. Hingerissen saß sie neben ihm auf der Klavierbank, lauschte der Musik, beobachtete seine blassen Finger auf den Tasten, seine vollendete Haltung, seinen konzentrierten Gesichtsausdruck. Ludwig schien ganz in seiner eigenen Welt aus Klang und Schönheit versunken. Und in diese Welt, das wusste Emma mit traumwandlerischer Sicherheit, wollte und musste sie ihm folgen.
Gegen Ende der Klavierstunde betrat ihre Mutter das Zimmer, um Herrn Heyn hinauszubegleiten, und immer noch schwebte Emma wie auf Wolken. Sie riss sich zusammen, um die Mutter ihre Schwärmerei für den Klavierlehrer nicht merken zu lassen, und vermied es, ihm beim Abschied in die Augen zu schauen. Musste nicht jedem ihr brennender Blick auffallen?
Als die Mutter und Ludwig das Wohnzimmer verlassen hatten, kam es ihr sehr still und leer vor. Komisch, dass ihr bis vor einer Woche gar nicht aufgefallen war, dass in ihrem Leben etwas gefehlt hatte; etwas Entscheidendes, etwas, das sie so sehr brauchte wie die Luft zum Atmen.
»Bist du zufrieden mit Herrn Heyn?«, fragte Frau Röslin, als sie zu Emma zurückkehrte.
»Er ist ein guter Musiker«, antwortete sie, bemüht, ihre Stimme gleichgültig klingen zu lassen.
»Vielleicht sollten wir ihn einmal zum Abendessen bitten«, sagte die Mutter.
Emma schluckte. »Das wäre … schön.« Ob sie überhaupt einen Bissen herunterbringen würde?
»Ich werde gleich mit deinem Vater darüber sprechen.« Frau Röslin wandte sich zum Gehen. »Ich bin ja sehr gespannt auf seine Gattin. Sie soll ein reizendes Geschöpf sein.«
Emma starrte ihrer Mutter hinterher, und die neu entdeckte Welt aus Klang und Schönheit stürzte lautlos in sich zusammen.
»Geht es Ihnen wieder gut?«, begrüßte Krüger Emma, als sie in der Abenddämmerung zu den Forschern ans Feuer trat. Er musterte sie besorgt; offensichtlich hatten Oskar und Pagel ihr mittägliches Abenteuer bereits ausgeplaudert.
»Mit mir ist alles in Ordnung. Es tut mir bloß leid, dass ich meine Pflichten am Nachmittag versäumt habe«, sagte Emma. »Ich bin eingeschlafen, die Aufregung vorhin war wohl doch ein bisschen viel. Aber ich werde nach dem Essen alles aufarbeiten.«
»Unsinn«, mischte Oskar sich ein. »Jeder hier versteht, dass eine Dame sich nach einer überstandenen Gefahr erholen muss.« Einladend klopfte er neben sich auf den Boden.
Emma ließ sich an seiner Seite am Feuer nieder. »Eigentlich war es gar nicht gefährlich«, sagte sie. »Der alte Mann wollte lediglich seinen Speer gegen mein Messer tauschen.«
»Ha, im Tauschen sind sie gut«, rief Pagel. »Bieten dem weißen Mann gerne auch mal ihre Frauen an, wenn sie dafür einen alten Mantel bekommen. Fragt sich nur, was mehr wert ist.« Er lachte.
Schneidend sagte Scheerer: »Das reicht.«
Er schaute grimmig von Emma zu Oskar. »Ist Ihnen eigentlich klar, Crusius, was Fräulein Röslin heute Mittag hätte passieren können?«
»Nur allzu klar«, sagte Oskar und legte seinen Arm um Emma.
Sie versteifte sich unter seiner Berührung. Im Stillen verwünschte sie wieder einmal die Verlobungslüge, die sie dazu zwang, sich vor Carl Scheerers Augen von Oskar anfassen lassen zu müssen.
»Und?«, fragte Scheerer kühl. »Wie soll es jetzt weitergehen?«
Oskar runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht.«
»Fräulein Röslin soll zeichnen, wir aber werden nach wie vor jeden Tag unterwegs sein«, erklärte Scheerer, und es schien ihn einige Mühe zu kosten, ruhig zu bleiben. »Sie wird also wieder alleine im Lager sein, und was heute geschehen ist, kann sich beliebig wiederholen. Mit schlimmen Folgen. Wie also gedenken Sie, sie zu schützen?«
Oskar schwieg einige Augenblicke. Dann sagte er langsam: »Ich muss Pflanzen und Tiere sammeln, und Emma muss zeichnen, koste es, was es wolle. Godeffroy erwartet reichhaltige Lieferungen, da kann ich ihm nach dieser Expedition nicht mit ein paar vereinzelten Funden kommen.« Er schüttelte den Kopf. »Niemand von uns kann ständig im Lager bleiben, und Emma kann nicht zeichnen, während sie sich durch den Busch schlägt. Nein, ich fürchte, es gibt keine Lösung für das Dilemma; wir müssen auf Gott vertrauen, dass er meine liebe Emma
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