Der Duft von Hibiskus
wollte nur …«
»Was der wollte, kann ein tugendhaftes Mädel wie du nicht mal erahnen!«, unterbrach Oskar sie. »Verdammter Wilder! Wenn er nicht so schnell abgehauen wäre, hätte ich ihm ordentlich Saures gegeben.«
»Die rennen wie die Hasen, wenn der weiße Mann auftaucht«, sagte Pagel, der in die Höhlenöffnung getreten war. »Verschlagene Feiglinge allesamt. Gut, dass wir rechtzeitig da waren, um Sie zu retten, Fräulein Röslin.«
Emma murmelte pflichtschuldig ihren Dank. Doch wenn sie ehrlich war, empfand sie die Anwesenheit der beiden durch die Wut aufgeputschten Männer kaum als beruhigend. Pagel hatte sich breitbeinig wie ein Wachposten vor der Höhlenöffnung aufgebaut. Sein Körper füllte den natürlichen Eingang fast vollständig aus, sodass kaum mehr Licht ins Innere des Baumes fiel. Oskar stand immer noch dicht vor Emma, und auch wenn seine Hände nun nicht mehr an ihren Wangen klebten, war seine Nähe ihr unangenehm. Sie sah seine Augen in der Dunkelheit glühen, und seltsamerweise machte ihr das mehr Angst als der Wilde vorhin. Eilig senkte sie den Blick.
Oskar hingegen entspannte sich. Er strich Emma mit dem Handrücken über die Wange und lächelte.
»Da ist meine kleine Verlobte gerade noch mal davongekommen, was?«
»Glück gehabt, Crusius«, sagte Pagel. »Gebrauchte Taschentücher benutzt niemand gerne, was? Vor allem, wenn ein Wilder der Erste war.« Er lachte dröhnend.
Oskar grinste und sagte: »Lieber Freund, hier ist eine Dame anwesend. Herrenwitze über, hm, gebrauchte Taschentücher verschieben wir besser auf Zeiten, in denen diese Dame schläft.«
Emma sah von einem zum anderen, und ihre Angst wich fassungsloser Empörung. Was erlaubten diese beiden Männer sich eigentlich? Dachten sie wirklich, sie sei ein dummes Kind, das nicht verstand, worum es in ihren obszönen Scherzen ging?
Sie halten dich eben für etwas Besseres, als du bist, meine Gute, zischte eine Stimme in ihrem Kopf. Sie halten dich für unschuldig. Unschuldig. Dass ich nicht lache!
Die Erinnerung überfiel sie ohne Vorwarnung.
»Nur noch ein einziges Mal, meine Schöne, meine Teure, lass mich nicht sterben, ohne dich noch einmal gespürt zu haben!« Ludwig atmet schwer, seine Hände umschließen ihre Brüste.
»Wer sagt denn, dass du stirbst? Da musst du dir schon bessere Argumente einfallen lassen«, neckt sie ihn, wehrt sich jedoch nicht gegen seine Berührung.
»Auguste könnte vermuten, dass ich untreu bin, und mich im Affekt umbringen«, flüstert er in Emmas Ohr und lacht leise. »Ich finde, da sollte sich mein Tod wenigstens lohnen: Sie sollte mich zu Recht töten, nicht wegen ein paar geflüsterter Liebesworte und eines kleinen Ausrutschers. Komm schon, ich habe lange genug gewartet.«
Emma wischte sich mit der Hand über die Augen. Nicht an Ludwig denken! An seine Lippen auf ihren … Denn wenn sie an die Momente dachte, in denen sie ihn ganz für sich gehabt hatte, war der Schmerz so frisch und scharf wie damals in Stuttgart, nach den dunklen Tagen. Und noch etwas war da. Angst. Enttäuschung. Entsetzen.
»Du hast einen Schock«, hörte sie Oskar sagen, und er griff besorgt nach ihrem Arm. »Du solltest dich ein wenig ausruhen.«
Pagel trat zur Seite, und Oskar zog Emma aus der Baumhöhle ins helle Mittagslicht. Widerstandslos ließ sie sich zu ihrem Zelt führen und kroch hinein. Auf der Wolldecke liegend zog sie die Knie eng an den Körper, umschlang sie mit ihren Armen und schloss die Augen.
Ludwig Heyn war überrascht gewesen, als er sie das Übungsstück schon in der zweiten Klavierstunde fehlerfrei hatte spielen hören.
»Sie haben Gefühl und Talent«, hatte er gesagt und seine hellen Augen in ihre versenkt. »Eine nette Abwechslung zu meinen sonstigen Schülerinnen.«
»Unterrichten Sie denn viele junge Damen?«, fragte Emma.
»Einige. Und sie sind allesamt genauso hübsch und fröhlich wie unmusikalisch.«
Emma biss sich auf die Lippen, um nicht zu lachen, und Ludwig grinste.
»Sie sehen, Fräulein Röslin, ich habe guten Grund, den Stunden mit Ihnen entgegenzufiebern.«
Er beobachtete sie genau, während er das sagte, und so konnte ihm die Wirkung seiner Worte nicht entgehen. Er lächelte leicht.
Dann bot er Emma an, ihr die Stücke verschiedener Komponisten vorzuspielen, damit sie sich eines zum Üben aussuchen konnte, das ihr besonders gut gefiel. Sie war begeistert. Ihre alte Lehrerin hatte niemals danach gefragt, was Emma wollte. Ludwig hingegen nahm seine
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