Der Duft von Tee
wie sie selbst zu fühlen und wieder etwas Farbe zu bekommen, wenn sie ihre Stammgäste bedient. Es ist wie eine Art Therapie für sie, anders kann ich es mir nicht erklären. Und vielleicht hat Faith auf mich die gleiche Wirkung.
Liebste Mama,
es gibt furchtbar gemeine Menschen auf dieser Welt, nicht wahr? Menschen, die andere schlagen, wenn sie bereits verzweifelt sind, oder sie auf die Straße setzen oder ihnen ihre Würde rauben, ihren Lebensmut, bis nichts mehr von ihnen übrig ist. Wie können Menschen nur so bis ins Mark verdorben sein? Bringt man ihnen das bei? Oder werden sie so geboren?
Jeden Tag sehe ich zwei Mütter, die unterdrückt wurden, als seien sie nichts wert. Man hat ihnen gesagt, dass sie nutzlos sind. Dass sie keine Zukunft haben. Man ist mit Worten oder Fäusten auf sie losgegangen. Auf genau diese Frauen, die so hart arbeiten, dass ich sie kaum dazu bewegen kann, am Ende des Tages damit Schluss zu machen. Und nicht nur das. Sie geben sich solche Mühe, auf ihre Art gute Mütter zu sein. Es ist, als würden sie schwimmen und schwimmen, nur um nicht zu ertrinken, und doch nie das andere Ufer erreichen.
So war es auch bei dir, nicht wahr, Mama? Du bist geschwommen und geschwommen, nur um nicht zu ertrinken. Ich wünschte, ich könnte von Angesicht zu Angesicht mit dir reden – ich weiß, wie viel Mühe du dir gegeben hast. Ich verstehe es jetzt. Alles andere vergebe ich dir. Vergibst du mir?
Deine dich liebende Tochter
Grace
Le Retour – Die Heimkehr
Herbe Mango mit einer Buttercremefüllung
Ich tappe so leise ich kann durch die Wohnung, doch die Holzdielen knarren vor Kälte. In der Küche stecke ich zwei Scheiben Toast in den Toaster und setze den Teekessel auf. Jocelyn schläft noch, und ich möchte sie nicht wecken.
Sie hat das Geschirr von gestern Abend, das ich im Abtropfgestell stehen gelassen habe, abgetrocknet und eingeräumt. Sie kann das Aufräumen nicht lassen, sosehr ich sie auch darum bitte; es ist eine fast zwanghafte Angewohnheit – unermüdlich faltet sie Geschirrtücher zusammen oder räumt Schränke auf. Als würde die Beschäftigung die dunklen Erinnerungen vertreiben. Erinnerungen, die ich mir gar nicht erst vorstellen mag. Nur Rilla scheint zu wissen, wie sie sie trösten kann. Ihr fallen tausend nette Gesten ein, als wäre Jocelyn ihre jüngere Schwester. Sie bringt ihr Lunchpakete mit gekochten Eiern mit, auf deren Schalen sie lachende Gesichter gemalt hat, oder legt kleine Gänseblümchensträuße neben Jocelyns Sandwiches. Im Lillian’s tätschelt sie Jocelyn den Rücken, flüstert ihr auf Tagalog etwas zu und begleitet sie auf die Toilette, wenn sie weinen muss.
Der Toast springt heraus, braun und heiß. Ich nehme den Kessel vom Feuer, bevor er pfeift. Dampf kräuselt aus der Tülle. Hinter mir höre ich ein faules Gähnen.
»Du hättest nicht aufzustehen brauchen«, sage ich leise.
Pete fährt sich mit der Hand durchs Haar. In seinem Pyjama ist er von Kopf bis Fuß blau, rot und grün gestreift. Auf seiner linken Wange zeichnen sich die Falten des Kissens ab. Er lächelt schief.
»Ich dachte, wir könnten gemeinsam frühstücken«, flüstert er und schielt zu Jocelyns Tür hinüber.
»Alles okay, sie schläft noch.«
Ich stecke noch zwei Scheiben Toast in den Toaster und biete ihm eine Scheibe von meinem an, auf dem die Butter bereits zerlaufen ist. Er nimmt sie, und wir essen im Stehen. Ich nippe an meinem grünen Tee, die Flüssigkeit wärmt meinen Körper. Wir müssen gleichzeitig gähnen.
»Was ich dir noch erzählen wollte«, sagt er und schluckt einen Bissen Toast hinunter. »Einige der Restaurants werden geschlossen …«
Eine unbeholfene Pause entsteht.
»Du willst mir sagen, dass das Aurora schließt, ja?«
Er nickt und legt den Arm um meinen Rücken und drückt meine Taille. Ich seufze. Es ist so lange her, dass ich an Léon gedacht habe. Er schaut nicht mehr so regelmäßig im Lillian’s vorbei, das macht es mir leichter. Ich schäme mich, wenn ich an meine damaligen Gefühle für ihn denke. Er kommt mir wie eine Fieberfantasie vor, die mich übermannt hat und jetzt wieder abgeflaut ist und mich verletzlich und verwirrt zurückgelassen hat. Ich beiße in meinen Toast. Das Gefühl von Petes warmem Arm um meinen Rücken beruhigt mich. Seine Augen leuchten grün und golden im frühmorgendlichen Licht.
Ich hebe das Kinn. »Und was wird aus Léon?«
Pete sieht mich eindringlich an, als würde er in meinen Augen nach etwas suchen, das
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