Der Duft von Tee
schon lange nicht mehr da ist. Sein Blick wird weicher, und er schüttelt den Kopf, wobei er sich die Finger an der Pyjamahose abwischt. Er greift nach dem Kessel und gießt sich eine Tasse Tee ein.
»Ich weiß es nicht. Ich werde ihn anrufen und ihn fragen. Das ist zwar nicht mein Bereich, aber … nun ja, vermutlich bin ich ihm diesen Anruf schuldig.« Auch er klingt verlegen.
»Arme Celine«, sage ich. Dann denke ich an ihre Mädchen.
»Ja. Er könnte sicher woanders unterkommen, aber man munkelt, dass er hierbleiben will. Ihm scheint es in Macao zu gefallen. Die Kasinos, der ganze Lebensstil.«
Meine Gedanken wandern zurück zu dem Brunch im Aurora, den mit Essen überladenen Tischen, dem Honig, der aus der Wabe tropfte und dem frischen, warmen Brot. Ich schüttle den Kopf. Die Zeit fühlt sich seltsam und elastisch an, als wären wir erst gestern dort gewesen oder vor Jahren. Damals gab es noch kein Lillian’s, keine Marjory, keine Rilla, keine Gigi und keine Yok Lan in unserem Leben. In meinen Gedanken füge ich diese Menschen wie die Flicken eines Quilts zusammen, eng verwoben durch viele Erinnerungen. Gigi, die nach dem Erdbeben nach Yok Lan sucht, Rilla und Gigi, summend und singend und lachend im Lil’s.
Pete stellt seine Tasse ab und baut sich vor mir auf. Er nimmt meine Hände in seine und sieht mir ins Gesicht. Es ist eine so feierliche Geste, dass man den Eindruck hat, das Licht im Raum würde schwächer.
Ich hole schnell Luft und halte den Atem an, bis es wehtut. Sein Lächeln bildet eine schmale Linie auf seinem Gesicht, er scheint etwas nervös.
»Grace, ich weiß nicht, wie lange …«
Ich reiße mich von seinem Blick los und sehe zu Boden. Meine Füße sind kalt, die Zehen blass im Kontrast zu den leuchtend rot lackierten Nägeln. Er sieht ebenfalls auf sie hinunter, stößt mit seinen Zehen dagegen und drückt seine Stirn sanft gegen meine.
»Grace …«, flüstert er, beendet den Satz jedoch nicht. Sein Atem ist warm auf meinem Gesicht, er riecht süß nach Toast und Schlaf. Er beugt sich zu mir vor, dann wippt er auf den Hacken nach hinten. Er küsst mich zärtlich über der rechten Schläfe und runzelt die Stirn. »Ich weiß, wie viel dir das Café inzwischen bedeutet.«
Meine Kehle fühlt sich an, als hätte ich eine Handvoll Kieselsteine geschluckt. »Wie lange noch?«, frage ich so leise, dass ich es fast selbst nicht hören kann.
Der Rest des Jahres rauscht seltsam verschwommen an uns vorbei. Wir bereiten Jocelyns Abreise auf die Philippinen vor. Vielleicht muss sie nach Macao zurückkehren, falls es tatsächlich zu einer Verhandlung kommt, doch Dons Bekannter, der Rechtsanwalt, hat uns bereits vorgewarnt, dass solche Fälle oft im Sande verlaufen. Er bezweifelt, dass man einem philippinischen Dienstmädchen vor Gericht Glauben schenken wird. Ihr Wort steht gegen das ihres Arbeitgebers, und man wird sie als verlogene, unglaubwürdige Immigrantin hinstellen. Es tut weh zu sehen, wie leicht sich so eine Geschichte vom Tisch wischen lässt. Wenn ich schon so bereitwillig an Rilla gezweifelt habe, wer wird dann erst Jocelyn glauben? Es macht uns alle wütend, dass die Arbeitgeber möglicherweise nicht zur Verantwortung gezogen werden, doch wir versuchen uns darauf zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist: Jocelyn heil nach Hause zu ihren Kindern zu bringen.
Marjory hat gesagt, sie muss jederzeit aufbruchbereit sein, sodass immer eine gepackte Umhängetasche neben ihrem perfekt gemachten Bett steht. Bald ist Weihnachten, doch es fällt mir schwer, die Festtage normal zu begehen, wenn wir jedes Mal aufspringen, sowie es an der Tür klopft oder das Telefon klingelt. Ich habe für Rilla, Marjory, Gigi und Jocelyn kleine silberne Schmuckstücke gekauft, in die ihre Namen eingraviert sind; für Faith habe ich einen weichen, ausgestopften Stoffengel in Gold und Weiß. Am ersten Feiertag trinken wir im Lil’s eine Flasche Champagner mit ein paar Trüffelpralinen, die ich gemacht habe, und später essen Pete, Jocelyn und ich Brathähnchen zum Abendessen, aber richtig gefeiert wird nicht. Mir kommt es vor, als wäre in einem Augenblick Weihnachten und im nächsten nicht mehr. Jocelyn packt ihr Schmuckstück sorgfältig in ihre Tasche. Ich bemerke des Öfteren, wie sie nachprüft, ob es noch da ist.
Am Silvestermorgen ist es endlich so weit. Marjory steht mit Jocelyns neuem Pass und einem Briefumschlag mit den Flugtickets und etwas Bargeld vor der Tür. Rilla macht sich sofort auf den
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