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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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Tasche verschwinden lässt.
    Nach Gigi kommt Rilla von der Bushaltestelle geeilt. Mit hoch erhobenem Kopf stürmt sie herein, um sich zu vergewissern, dass es Jocelyn gut geht. Sie hilft ihr mit der ersten Ladung Teller. Rilla strahlt eine gewisse Stärke aus, die nur schwer zu erklären ist, ein neues Selbstvertrauen. Von Marjory erfahre ich, dass Rilla unter den Philippinern den Ruf hat, den Mädchen zu helfen, die von sogenannten Personalvermittlern hereingelegt worden sind oder von schlechten Arbeitgebern ausgenutzt werden. Ich kenne ihre Geschichte inzwischen und habe die Brandnarben von den Zigaretten auf den Innenseiten ihrer Arme gesehen. Seit ich nachgefragt habe, hat sie angefangen, mir zu erzählen, was sie in Dubai erlebt hat: eine sehr viel geringere Bezahlung als versprochen, Schulden bei den Vermittlungsagenten wegen irgendwelcher geheimnisvoller Gebühren, Schläge, um sie zu Gehorsam und Schweigen zu zwingen. Sie selbst ist der Meinung, dass sie Glück gehabt hat – viele Mädchen werden zur Prostitution gezwungen, manche können nie entkommen.
    Manchmal schiebt sie die Ärmel hoch, damit ich die Narben sehen kann. Monde aus glatter, roter Haut verteilen sich über ihre Arme. Würde sie nicht einen solchen Stolz ausstrahlen, würde ich weinen. Ich entschuldige mich dafür, wie ich sie und Jocelyn an jenem Morgen behandelt habe. Sie sagt mir, dass ich das vergessen soll. »Du hast es ja nicht gewusst.« Ich erinnere mich, wie sehr sie der Geschäftsmann eingeschüchtert hat, der sich über den kalten Kaffee beschwert hat, und frage mich, wie sie heute wohl auf ihn reagieren würde. Sieh sie dir nur an. Ich bin von mütterlichem Stolz erfüllt. Und irgendwie scheint sie auch für Gigi und Jocelyn ein emotionales Floß darzustellen, das sie über Wasser hält.
    Marjory stößt am späten Nachmittag, wenn der Mittagsansturm vorüber ist, als Letzte zu unserer Schar. Sie setzt sich auf ihren üblichen Platz und vertreibt sich die Zeit mit Cappuccinos. Sie holt Jocelyn aus der Küche und unterhält sich mir ihr, legt ihr den Arm um die Schulter und flüstert ihr etwas zu. Marjory schiebt ihr Taschentücher zu, und ich sehe, wie sie ihr heimlich Geld in die Tasche steckt, wenn Jocelyn sich weigert, es direkt anzunehmen. Den Morgen verbringt Marjory jetzt im Frauenhaus der Schwestern des Guten Hirten. Sie erzählt begeistert von Schwester Julietta, und ich ziehe sie damit auf, dass eine so modebewusste Frau wie sie ihre Zeit mit den Nonnen verbringt.
    »Sie leistet Erstaunliches, Gracie«, sprudelt es aus Marjory heraus. »Wir arbeiten mit einer Gruppe in Hongkong zusammen, die möglicherweise einige der Typen, die diesen armen Mädchen die Hausarbeit vermitteln, auffliegen lassen kann. Hausarbeit, von wegen!« Sie guckt mich wütend an. »Das ist moderne Sklaverei, das wissen sie genau.«
    Sie teilt ihre Frustration und ihre Geschichten sogar mit Yok Lan, die geduldig zuhört, ohne ein einziges Wort zu verstehen. Marjory erzählt mir, dass es nicht mehr lange dauert, bis sie Jocelyn nach Hause auf die Philippinen schicken können, zurück zu ihren Kindern.
    Gigi bringt Faith mit, dick in bauschige Jacken und wollene Mützen eingepackt. Der Winter liegt in der Luft. Sie stellt sie in eine Ecke nahe der Theke, wo wir alle ein Auge auf sie haben wie eine ganze Horde von Mamas. Faith blinzelt uns aus ihrem Kinderwagen an, die Augen rund wie Rosinen, die Wangen rot von der Kälte. Manchmal gluckst sie oder streckt sich unbewusst im Schlaf, die Hände über dem weichen, dunklen Haar zu Fäusten geballt. Ihr rosa Mund und ihre blasse Haut ziehen mich in ihren Bann, selbst wenn sie wach ist und das Café zusammenschreit. Ihre Kindlichkeit kommt mir angesichts der ganzen Trauer und Gewalt in den letzten Wochen erfrischend und hoffnungsvoll vor. Ich hebe sie hoch, um sie an mich zu drücken, atme das Talkumpulver und ihren Babygeruch ein und erzähle ihr die Geschichten, die Mama mir erzählt hat. Von Feen, Königinnen, vergifteten Äpfeln, Prinzen und fliegenden Teppichen. Mein Herz quillt vor Liebe und Hoffnung über, wenn ich sie bei mir habe.
    Yok Lan und ich schaukeln abwechselnd ihren Kinderwagen und wechseln ihre Windeln. Gigi hat nichts dagegen, reicht uns angewärmte Flaschen mit Babynahrung und übernimmt die Kasse, wenn ich mich um Faith kümmere. Ein Teil von mir fühlt sich schuldig, dass ich mich mit Faith beschäftige, während Gigi arbeitet, doch sie sieht mich erleichtert an; sie scheint sich mehr

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