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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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auszumachen. Ich blinzele, um besser sehen zu können, und lege die Hände auf die Scheibe.
    »Was ist das? Ist es hier sicher?«
    Pete schlendert gähnend zu mir herüber. Er legt mir die Hände auf die Schultern und drückt sie. »Uns passiert schon nichts.«
    Ich denke an Bomben und Erdbeben und schiebe ihn vom Fenster fort, doch er lacht nur, als er ein paar Schritte rückwärtsstolpert.
    »Das ist nur ein Feuerwerk.«
    »Was?«
    »Ein Feuerwerk. Zum chinesischen Neujahrsfest.«
    Während er es mir erklärt, blühen Wolken aus grünen Lichtfunken am Himmel auf und sinken langsam funkelnd zu Boden. Wenige Sekunden später erreicht uns auch der Schall, ein Grollen und Poltern wie von einem wütenden Drachen. Pete stellt sich gerade hin und tätschelt mir den Rücken.
    »Alles in Ordnung?«
    »Ja. Mir war nicht klar … Ein neues Jahr …«
    »Yep. Das Jahr der Ratte.« Während er weiterredet, geht er in die Küche. Er muss die Stimme heben, um den Lärm zu übertönen. »Das geht jetzt wohl die ganze Woche so. Man kann auch selbst Raketen abschießen, unten am Wasser. Das sind richtige Monsterdinger. Selbst die kleinen Kinder feuern diese riesigen Raketen ab …«
    Er kommt mit einem kalten Bier zurück, einem Tsingtao. Das Kondenswasser läuft an der Seite der Flasche herunter. Er setzt sie an die Lippen und saugt an ihrem Hals. Mir fällt sein unrasiertes Kinn auf, das sich dunkel von der blassen, haarlosen Haut seiner Kehle abhebt. Er erwidert meinen Blick, heute Abend sind seine Augen grün, mit goldenen Sprenkeln. Mir wird bewusst, dass wir seit dem Anruf von Dr. Lee nicht mehr miteinander geschlafen haben.
    »Wir sollten runtergehen und es uns ansehen – wenn du magst.« Er zuckt mit den Schultern.
    Ich beobachte, wie eine rote Rakete in glitzernden Funken explodiert. Als ich mich wieder zu Pete umdrehe, sehe ich, wie sich das Licht der Rakete auf seinen Wangen und seiner Stirn widerspiegelt.
    »Hallo? Sollen wir runtergehen? Gracie?« Er klingt genervt. Kann er mir nicht mal eine Minute zum Nachdenken geben? Er ist in letzter Zeit so ungeduldig. Als wir frisch verheiratet waren, hat er den Kopf zur Seite geneigt und mich beobachtet, während ich eine Entscheidung gefällt habe, sein Blick ist über meine Haare und Augen und Lippen gewandert. Er hat nie mit den Schlüsseln geklimpert oder mir gesagt, dass ich mich beeilen soll. Die Geduld, die er einst für mich übrig hatte, war eine Gabe, die er irgendwann verloren hat.
    »Sicher, gehen wir.«
    Der Bereich, in dem die Feuerwerkskörper abgeschossen werden, ist von der Straße durch große undurchsichtige Planen abgesperrt. Er liegt auf der Uferseite, von der aus man zur Halbinsel Macao sehen kann. Auch dort muss es einen solchen Bereich geben, weil vor der spitzen Nadel des Macao Tower sporadisch Feuerwerk explodiert. Am Eingang steht ein Schild mit der Aufschrift: WIR BITTEN UM VORSICHT BEIM BETRETEN DIESES GELÄNDES. KINDER SIND ZU BEAUFSICHTIGEN. TIERE VERBOTEN. BITTE NICHT RAUCHEN . Rauchen dürfte ohnehin unnötig sein, da die Luft schwer von Schießpulver und Qualm ist. Pete reibt mir zerstreut über den Rücken, während er das Durcheinander betrachtet. Der Gesichtsausdruck von Kindern und Erwachsenen ist der gleiche – runde Augen und vor Lachen weit geöffnete Münder. Ihr Vergnügen ist fast mit Händen zu greifen. Ein paar philippinische Hausangestellte und Kindermädchen sitzen an der Seite, wiegen Babys auf ihrem Schoß und halten ihnen die kleinen Ohren zu. Sie sind weit und breit die Einzigen, die grimmig dreinschauen. Sie wirken erschöpft, von innen heraus. Eine von ihnen bemerkt, dass ich sie ansehe, und versucht sich an einem höflichen Lächeln. Ich nicke zurück.
    »Hast du das gesehen?«, schreit Pete.
    Über uns knistert und kracht ein gewaltiger Regen aus goldenem Licht am nächtlichen Himmel. Pete jauchzt und schreit, und die Leute in unserer Nähe drehen sich um und stimmen lachend ein.
    »Das ist fantastisch!«, seufzt er und klingt plötzlich wie ein kleiner Junge. »Warte hier, ich sehe mal nach, wo man Raketen kaufen kann.«
    Bevor ich etwas erwidern kann, ist er im Nebel verschwunden. Ich lehne mich gegen das Metallgerüst, an dem die Planen befestigt sind, und verschränke die Arme vor der Brust. Kinder huschen an mir vorbei, greifen nach den Händen ihrer Eltern oder zerren ungeduldig an ihren Ellenbogen. Ich entdecke eine junge Frau, die etwas abseits steht und genau wie ich an einem Pfahl lehnt. Ihr Gesicht ist zu einer

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