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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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schmollenden Miene verzogen wie bei einem Teenager, ihr Make-up dick und dunkel. Sie trägt ein dunkelviolettes Sweatshirt mit einem Stehkragen, das ganz mit aufgedruckten goldenen Sternen übersät ist. Als sie mich dabei erwischt, wie ich sie anstarre, starrt sie zurück, was mich verunsichert. Irgendwie kommt sie mir bekannt vor.
    »Ein paar Kollegen sind auch hier«, sagt Pete atemlos, als er zurückkommt. »Paul und Linda stehen gleich da drüben.« Er zeigt in ihre Richtung und hustet.
    »Der Rauch ist ganz schön dick …«
    »Komm«, sagt er mit einer so verführerischen Stimme wie bei unseren ersten Dates. Er lässt den Finger durch die Gürtellasche meiner Jeans gleiten und zieht mich mit sich. Das Haar fällt ihm in die Augen.
    Die Frau, die an dem Pfahl lehnt, sieht jetzt nicht mehr zu uns herüber, ihr Kinn zeigt zum Himmel. Ihre Hände bewegen sich in den tiefen Taschen ihres Sweatshirts, streichen über ihren Bauch.
    »Also gut.«
    Pete geht vor, rennt ein paar Schritte, um schneller bei ihnen zu sein. Linda und Paul müssen schon eine ganze Weile hier stehen. Lindas blondes Haar ist mit einer Rußschicht bedeckt. Sie ist ganz aufgedreht von dem, was auch immer der teure, silberne Flachmann in ihrer Hand enthält. Sie trägt ein Sommerkleid und Schuhe mit hohen Absätzen, die ebenfalls voller Ruß sind. Pete hebt eine große Papiertasche auf, aus der die Holzstäbe mehrerer Raketen herausgucken. Sein Grinsen reicht fast von einem Ohr zum anderen. Linda winkt mir zu, als gehörte ich praktisch schon zur Familie; dann dreht sie sich zu Pete um und legt ihm eine schlanke Hand auf die Schulter, als er die Raketen aus der Tasche zieht. Sie kichert wie ein Mädchen, das die Schule schwänzt.
    Ich trete ein paar Schritte von der Gruppe zurück und beobachte sie. Schon bald schiebt sich die Menge zwischen sie und mich, drängt uns immer weiter auseinander, trägt mich mit sich wie eine Flutwelle. Lindas Freudenschreie werden leiser; sie sieht zu der Halbinsel hinüber, beobachtet die leuchtenden Schwaden. Paul steht breitbeinig da, er hat die Hände auf ihre Hüfte gelegt. Er schaukelt auf den Absätzen nach hinten, um in den Himmel zu gucken. Petes Gesicht leuchtet auf, als er die Raketen zündet und von den Funken angestrahlt wird. Seine Zunge spitzt aus seinem Mundwinkel, das Haar fällt ihm in wilden Locken in die Stirn. Er sieht aus wie ein kleiner Junge. Und wie der Mann, in den ich mich einmal verliebt habe.
    Ich lehne mit dem Rücken gegen die Plane. Die Geräusche sind jetzt nicht zu unterscheiden; das Knallen und Ballern und Surren der Raketen kommt von allen Seiten, genau wie das Gelächter der verschiedenen zusammengedrängten Gruppen. Die Laute werden dumpf und dunkel, als würde ich den Kopf unter Wasser halten. Irgendwie komme ich in dem ganzen Krach zur Ruhe. Ich habe das Gefühl, unsichtbar zu sein, wie ich da allein in dem Meer aus lachenden und schreienden Menschen stehe, in Rauch und Lärm.
    »Wie soll es weitergehen?« Petes Frage von neulich Abend geht mir durch den Kopf. Ja, wie?
    Der Nachthimmel ist mit blassen Rauchschwaden überzogen. Für einen Augenblick kehrt Stille ein, Sprühregen und Funken machen eine kurze Pause. Raketenstöcke und abgebrannte Streichhölzer übersäen den Boden. Die Menge gerät in Bewegung und seufzt wie ein einziges großes Tier, drängt und wirbelt um mich herum wie Wasser um einen tief im Flussbett liegenden Stein. Ich höre meinen Namen. Er wird lauter, wie ein Lied, immer lauter.
    »Gracie! Gracie! Gracie!«
    Es ist kalt geworden. Ich reibe mir die Hände, um sie zu wärmen. Über mir steigt eine letzte Rakete auf und explodiert vor dem grauen Himmel. Sie funkelt saphirblau. Die Menge blickt auf, die Münder zu stummen Kreisen geformt. Tief in meinem Inneren löst sich etwas. Reißt weg, fällt von mir ab. Es kommt mir wie ein Befreiungsschlag vor. Einen Sekundenbruchteil später weiß ich, dass ich eine Entscheidung getroffen habe. Eine kühne und möglicherweise ziemlich dumme Entscheidung, die besser zu Mama passen würde als zu mir. Sie hat etwas von Mamas Dreistigkeit und ihrem Mut, der uns immer in Schwierigkeiten gebracht hat.
    Meine Arme fallen an die Seiten zurück, mir ist nicht mehr kalt. Pete drängt sich durch die Menschenmenge zu mir hin. Er hat schwarzen Ruß an den Händen und auf seinem Hemd. Er starrt weiter geistesabwesend in den Himmel, wartet, ob noch eine Rakete abgeht.
    »Da bist du ja«, murmelt er. »Ich habe mich schon

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