Der Duft von Tee
ihr eure Meinung geändert, oder was?« Ihre Stimme ist jetzt ganz sanft, als hätte sie inzwischen begriffen, dass sie vielleicht nicht hätte fragen sollen.
»Nein, wir haben unsere Meinung nicht geändert. Ich weiß nicht genau, seit wann wir uns das schon wünschen. Das ist so lange her. Wir haben damals noch in London gelebt.«
»Und jetzt?«
»Wir wollen auch jetzt welche. Davon gehe ich zumindest aus.«
Ich habe schon so lange nicht mehr mit Pete darüber gesprochen. Wir meiden das Thema wie der Teufel das Weihwasser. Dabei ist es nicht so, dass wir vor einer Konfrontation oder einem Streit zurückschrecken; eigentlich streiten wir uns die ganze Zeit. Gestern Abend zum Beispiel darüber, ob wir einen neuen Dosenöffner kaufen sollen. Pete hielt unseren derzeitigen für unbrauchbar, woraufhin ich ihn als Miesmacher bezeichnet habe. Irgendwann war der dämliche Dosenöffner dann so wichtig, dass wir uns tatsächlich darüber stritten. Ich kochte förmlich vor Wut und lag die ganze Nacht schmollend neben seiner dunklen, schnarchenden Gestalt. Über Kinder zu reden macht uns nur traurig. Einen neuen Dosenöffner können wir jederzeit kaufen.
Ich sehe zu Gigi auf und korrigiere mich. »Nein, ich weiß , dass wir Kinder wollen. Wirklich.«
Sie starrt mich an, wartet, dass ich weiterrede, aber ich finde keine Worte.
»Aber wir können keine Kinder bekommen. Es ist physisch nicht möglich. Nun ja, mir zumindest. Ich kann keine Kinder bekommen.« Meine Stimme ist flach, monoton und verliert sich wie die Hoffnung, die Pete und mir irgendwann abhandengekommen ist.
»Und ich habe gedacht, dass ihr vielleicht gar keine wollt«, flüstert sie vorsichtig.
»Doch, das tun wir. Es geht nur einfach nicht.« Ich seufze. Außer vor Pete habe ich das noch vor niemandem laut ausgesprochen. Und mit Sicherheit hätte ich nicht gedacht, dass ich es einer jungen, schwangeren Frau über ein paar Macaronserzählen würde. Ich höre mich weitersprechen.
»Ich habe keine … Eizellen. Nicht mehr. Wie sich herausgestellt hat, haben wir zu lange gewartet, und mein Körper hat die Produktion zu früh eingestellt. Man könnte sagen, dass unser Timing nicht das beste war.« Ich atme durch die Nase ein und wieder aus, zähle langsam bis zehn. Sie sieht mich an und hört konzentriert zu. Ihre Augen werden sanft, als würde sie direkt in mich hineinsehen. Als würde sie irgendwie ahnen, wie es sich dort anfühlt. Es ist, soweit ich mich erinnern kann, das erste Mal, dass sie mir in die Augen sieht.
»Das ist Scheiße«, erklärt sie.
Ich nicke. Es ist Scheiße. Wer hätte gedacht, dass es für diesen dunklen, wirren Knoten aus Schmerz und Enttäuschung eine so einfache Erklärung gibt?
Gigi sitzt schweigend neben mir. In der Ferne sind ein Presslufthammer und eine plärrende Autohupe zu hören. Es ist ein wunderschöner klarer Tag. Die Wolken ziehen langsam über den Himmel. Wir nippen an unserem Tee.
»Grace?«
»Hmmm.«
»Es tut mir leid. Das mit dem Kinderkriegen.«
»Ja, mir auch. Mir auch …«
Sie sieht auf ihre Hände hinunter und dann zum Tisch hoch. Der Teller vor uns ist voller sonnenscheinfarbener Macarons. Sie erinnern mich an einen Strauß Gänseblümchen.
Gigi nimmt den Teller und hält ihn mir hin. »Ein Macaron?«
Wir essen gemeinsam den ganzen Teller Macarons leer, plaudern und trinken noch mehr Tee. Sie legt sogar meine Hand auf ihren Bauch und lässt mich ein paar Tritte spüren. Ich breche nicht in Tränen aus, die Zikaden singen weiter. Ich spüre, wie mir langsam eine große Last von den Schultern genommen wird.
Am Ende des Monats haben wir einen guten Gewinn gemacht, selbst an den Tagen, an denen ich krank war. Ich stehe an der Theke, überschlage die Einkünfte und könnte laut loslachen, so stolz bin ich. Rilla ist in der Küche, und Yok Lan schlürft ihren Tee an ihrem üblichen Platz. Gigi steht neben Marjory und plaudert, während die spätnachmittägliche Sonne durch die Fenster scheint. Ihr Gespräch weht zu mir herüber. Sie reden über die Orte, an denen Marjory gewesen ist. Gigis schwarz umrandete Augen werden ganz groß.
»Sogar in Paris?«
Marjory nickt. »Sogar in Paris. Paris ist die Heimat der Macarons, weißt du. Ich habe außerhalb von Frankreich noch nie eines gegessen – bis ich hierhergekommen bin.« Sie sieht zu mir auf. »Grace, warst du schon mal dort?«
Ich lächle. » Mais, bien sûr . Ladurée, Pierre Hermé, in Paris gibt es die besten Konditoreien.«
»Wer ist das?«,
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