Der Duft von Tee
meldet sich Gigi neugierig zu Wort.
»Die Rockstars der Macaron-Welt«, erkläre ich mit einem Augenzwinkern.
Ich denke an mich und Mama, wie wir Macarons so vorsichtig aus einer weißen Schachtel nehmen, als wären es Juwelen. Farben wie Edelsteine – rot wie Rubine, sanftes Türkis, blass wie Perlen. Wie wir die Aromen auf unseren Zungen zergehen lassen, die Augen schließen angesichts ihrer dekadenten Süße. Natürlich würde sie später nicht genug Geld haben, um die Hotelrechnungen zu bezahlen, aber sie hat Macarons von Ladurée zum Frühstück gekauft. Und das für ein Kind.
»Paris hat die schönsten Cafés …«, seufzt Marjory.
Dabei denke ich an Pete. Letzte Woche hat er mich zum Abendessen in ein französisches Restaurant in der Nähe eingeladen. Ein seltsamer Blick ist über sein Gesicht gehuscht, als ich gesagt habe, dass ich zu müde sei; wir hatten für den kommenden Morgen eine wirklich großeMacaron-Bestellung. Er hat plötzlich viel älter und sehr traurig ausgesehen.
Gigis Stimme ist voller Ehrfurcht. »Wo du schon überall warst.«
»Wir sind viel herumgezogen, ja. Aber du bist doch auch schon gereist, nicht?«
»Nicht wirklich. Ich war natürlich in Hongkong. In Guangzhou. Und in Taipei, wir sind einmal mit der Schule hingefahren. Ich musste sechs Monate lang in San Malo Ballons verkaufen, um mir das leisten zu können. Das war’s«, schließt sie. Ihre Hände wandern automatisch zu ihrem Bauch und verweilen auf seiner Wölbung.
»Irgendwann sieht alles gleich aus«, sagt Marjory wehmütig. Sie nippt an ihrem Cappuccino und will sich gerade ein L’Espoir in den Mund stecken. Bevor sie hineinbeißt, hält sie inne. »Es ist überall das Gleiche. Reichtum, Armut, Glück, Leid. Es ist leicht zu glauben, dass du besser bist als die anderen, weil du immer auf dem Sprung bist. Du bist nicht in ihrem Acht-Stunden-Trott gefangen. In der Eintönigkeit, im Alltag. Auf dich wartet immer ein neuer Ort.«
Gigi sieht auf ihre Hände hinunter, Armreifen funkeln um ihre Handgelenke. »Das muss toll sein.«
»Das ist es. Eine Zeit lang zumindest. Dann wirst du langsam ein bisschen … neidisch? Die anderen haben etwas von Dauer.« Ihre Stimme verwandelt sich in ein Flüstern. »Sie gehören irgendwohin.« Sie beißt in ihrMacaron und sieht sich mit leerem Blick im Lillian’s um.
Sie hat recht, denke ich.
Wir sitzen einen Moment schweigend da, bis wir Rilla in der Küche singen hören. Sie singt so falsch, dass es fast wehtut, wie ihre Stimme die Stille durchschneidet. Marjory hustet mit vollem Mund, Yok Lan kichert, Gigi lacht schallend.
»Scheiße, das ist ja furchtbar«, sagt Gigi mit ihrer charakteristischen Taktlosigkeit.
Rilla kommt aus der Küche, ihre Putzhandschuhe hinterlassen Tropfen auf den Fliesen. Wir verbergen unser Grinsen hinter den Händen.
»Worüber lacht ihr?«, fragt sie mit einem verwirrten Ausdruck auf ihrem runden Gesicht.
Wir alle kichern. Ich sehe die vier Frauen an – Gigi, Rilla, Marjory und Yok Lan – und lächle.
Liebste Mama,
manchmal frage ich mich, was wohl passiert wäre, wenn ich mich anders entschieden hätte. Jemand anderen geheiratet hätte. In ein anderes Land gezogen wäre. Etwas anderes gemacht hätte.
Hätte ich Marjory sein können? Würde ich von einem Ort zum anderen hüpfen wie ein Stein über das Wasser? Alle paar Jahre auspacken und wieder einpacken, keine Freundschaften schließen für den Fall, dass sie allzu bald wieder zerbrechen? Mich ständig wie ein Außenseiter fühlen? Wäre ich nach außen hin perfekt und im Innersten verloren?
Oder hätte ich Rilla sein können? Sie scheint ganz glücklich zu sein, doch sicher weiß ich das nicht. Ob sie sich dieselbe Frage stellt wie ich, als ich all die Jahre gekellnert habe – war das alles? Gibt es nicht noch etwas Sinnvolleres? Etwas, das nur ihr gehört?
Oder hätte ich Gigi sein können, jung und verwirrt? Würde ich auch so tun, als ob alles in Ordnung wäre? Sie ist schwanger, Mama. Sie ist nicht so jung, wie sie aussieht, deshalb sollte ich nicht so schockiert sein. Anfang zwanzig vielleicht? Aber sie sieht wie fünfzehn aus, so zart … Hätte ich dieselben Entscheidungen getroffen wie sie, wäre ich jetzt Mutter … In ihrem Alter hätte ich wahrscheinlich ein Kind bekommen können. Aber ich habe brav die Pille genommen und mir über andere Dinge Sorgen gemacht. Habe nicht geahnt, dass diese innere Uhr die ganze Zeit über tickt, tickt, tickt. Sie wird nie erfahren müssen, wie es
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