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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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ist, wenn einem diese wundervolle Gelegenheit einfach so genommen wird. Aber ich glaube, dass sie es nicht immer einfach hat. Das sehe ich in ihrem Gesicht, hinter der Tapferkeit und Arroganz; die ungesagten Dinge, die zerschlagenen Träume. Manchmal sieht sie so verloren und einsam aus wie eine Maus, die plötzlich aufwacht und sich in einem Käfig wiederfindet.
    Doch obwohl ich fast nichts über ihr Leben und ihre Probleme weiß, glaube ich, dass sie eines Tages wie Yok Lan sein wird. Zu einem Enkelkind aufblicken kann, das größer ist als sie, das ihr eine Hand auf die Schulter legt und ihr nette Dinge ins Ohr flüstert. Sie wird jemanden haben, der sich Sorgen macht, ob sie Mah-Jongg spielt, wenn sie das eigentlich nicht tun sollte. Jemanden, der sich um sie kümmert.
    Hätte ich eine dieser Frauen sein können, Mama?
    Oder hätte ich wie du sein können? Den Kopf voller roter Haare, voller Geschichten über Grillen und Bonbons und fliegende Fische. Um zwei Uhr morgens singend, am Nachmittag wie trunken tanzend. War es meine Entscheidung, nicht so zu werden wie du? Hätte ich wie du sein können? Ich denke an dich, du bist so voller Leben, dass deine Finger und Zehen leuchten. Deine Augen funkeln, und dein Haar fliegt durch die Luft. Du hast nie irgendetwas halb gemacht, Mama. Immer ganz und gar.
    Nun, es ist, wie es ist. Ich bin die, die ich bin. Die Dinge lassen sich jetzt nicht mehr ändern.
    Deine dich liebende Tochter
    Grace

Saison Orageuse – Sturmzeit
    Zitrone und Ingwer mit einer braunen Buttercremefüllung
    Die Taifunsaison ist über Macao hereingebrochen. Im einen Moment ist der Himmel so blau wie Kornblumen und die Sonne hat die Farbe von Honig, der auf die Bürgersteige tropft, im nächsten zieht ein grauer, tobender Sturm auf. Heute haben wir die Postkartenversion, sonnig und klar. Marjory erklärt mir, dass der Himmel so herzzerreißend blau ist, weil alle Fabriken in China wegen der Olympiade geschlossen haben. Es werden auch keine Visen zum Festland mehr ausgestellt, um Demonstranten an der Einreise zu hindern. Keine Shoppingtrips nach Zhuhai mehr für die ausländischen Ladys. Das Lillian’s ist dementsprechend gerammelt voll mit gelangweilten Frauen. Während der langen, heißen Tage auf den nächsten Sturm zu warten macht alle fiebrig. Die Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Zumindest fühlt sich hier jeder zu Hause, denke ich mit einem Anflug von Optimismus; das Lillian’s gleicht an den meisten Tagen einem großen, chaotischen Wohnzimmer.
    Heute hat selbst Marjory keinen Platz mehr bekommen. Als ich von ein paar Einkäufen zurückkomme, steht sie mit ihrer Tasse hinter der Theke. Gigi und Rilla lachen laut, als sie anmutig auf und ab springt. Zehen und Knie gleiten in einem fast Neunzig-Grad-Winkel vor und zurück. Gigi macht sie stöhnend nach, die eine Hand auf dem Bauch, die andere auf der Theke.
    »Was treibt ihr denn da?«
    Sie sehen auf und lachen.
    »Marjory will mich umbringen !«, beklagt sich Gigi, doch sie lächelt dabei.
    »Dieses Mädchen ist ganz und gar unsportlich, wusstest du das?«, meint Marjory missbilligend.
    »Wie hast du das noch mal genannt?«, fragt Rilla.
    »Pliés. Die würden ihr guttun, wenn die Wehen einsetzen; da muss sie schließlich fit und stark sein.«
    »Dafür ist sie doch viel zu faul.«
    Gigi schlägt mit dem Handtuch nach Rilla. Rilla nimmt mir die Einkaufstüten aus den Händen, und die beiden verschwinden in die Küche, um auszupacken. Die Klimaanlage trocknet den Schweiß, der sich an meinem Haaransatz gebildet hat. Ich binde mir eine Schürze um und fülle Marjorys Tasse auf.
    »Kommst du zum Tennisturnier im Ladies Club nächste Woche?«, fragt sie.
    »Wie? Ach, das Turnier.«
    Wir blicken beide auf den Stapel Flyer neben der Vitrine. Linda und ihre Buchclub-Freundinnen haben mich jede Woche gefragt, ob ich komme, aber bisher habe ich es erfolgreich vermieden, mich festzulegen. Wenn Marjory fragt, fällt es mir schwerer, Nein zu sagen.
    Sie lächelt mich hoffnungsvoll an, dann lacht sie. »Grace, du musst kommen, weil ich kommen muss. Don besteht darauf, um bei ein paar Leuten von der Arbeit zu punkten. Wenn du nicht hingehst, habe ich diese Snobs am Hals und muss die ganze Zeit einen Maulkorb tragen.«
    Marjorys direkte Art bringt mich zum Lachen. Gigi ist nicht die Einzige, die sich nicht sportlich betätigt; ich habe so viele Macaronsgegessen, dass ich zugenommen habe und mein Bauch wie weicher Brotteig über den Hosenbund quillt.

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