Der Duft von Tee
es erscheint mir zu persönlich, zu früh. Komisch, dass ich Léons Meinung zum Lillian’s kenne, Petes jedoch nicht.
»Wo ist Rilla?«, fragt er.
Mein Magen verkrampft sich. »Wir hatten so etwas wie einen Streit.« Das ist wohl die einfachste Erklärung. Die, bei der ich mich am wenigsten schuldig fühle.
»Oh.«
Gigi, die jetzt an der Theke hinter der Kaffeemaschine steht, wirft mir einen ihrer rebellischen Blicke zu. Ich frage mich, ob sie mich gehört hat. Schon wieder sehne ich mich nach Rillas Gesicht. Nach ihrem Lachen und ihrer freundlichen Art. Ich drehe mich wieder zu Pete um. »Grüner Tee?«
»Ja, ich trinke ihn bei der Arbeit.« Er zuckt mit den Schultern. »Ich mag ihn ganz gerne.«
Er löst seine Krawatte und legt sie auf die Zeitung neben sich. Nachdem er den obersten Hemdknopf geöffnet hat, räuspert er sich. »Ich habe gedacht … ich habe gedacht, wir könnten vielleicht zusammen Mittag essen?«
Ich sehe mich in dem ruhigen Café um. Yok Lan sitzt in der Ecke am Fenster und nagt an einem Macaron. Sie sieht zu mir herüber und grinst und hebt die Hand zu einem Winken. Ich lächle zurück.
»Es ist nicht viel los. Okay.«
Pete lächelt und beugt sich vor, um mir etwas zuzuflüstern. Die Bewegung ist so intim, dass ich die Wärme seiner Haut spüren kann, bevor er mich berührt. »Du hast da was … guck mal, ich weiß, dass das kitschig klingt, aber du hast da was im Haar«, sagt er leise.
»Oh«, flüstere ich.
Er streckt die Hand aus und streicht mir eine Haarsträhne aus der Stirn, lehnt sich wieder zurück und neigt beruhigend den Kopf zur Seite. Gigi kommt mit einem Tablett und bringt meinen Kaffee und Petes Tee. Sie sieht erst uns beide an, dann die Baguettes, bevor sie zu ihrer Großmutter geht und mit ihr redet.
»Das war nur Seife«, erklärt Pete und nippt an seinem heißen Tee. »Nur Seife. In deinem Haar.«
Ich nicke hinter meiner Tasse. Es fühlt sich wirklich wie ein Date an, selbst meine Handflächen sind verschwitzt.
»Wie war dein Tag?«, frage ich.
»Mein Tag? Gut.« Er hält inne, das Sandwich im Mund. »Nein, eigentlich war er furchtbar. Sorry, ich bin so daran gewöhnt, das zu sagen, aber in Wirklichkeit war er ziemlich hart.« Er beißt in das Baguette, während ich eine Serviette auf meinem Schoß ausbreite.
»Woran liegt’s?«
»An der Wirtschaft«, sagt er einfach.
»Was ist damit?«
»Sie ist nicht gut. Alles verändert sich, und das schnell. Zu schnell«, sagt er zwischen zwei Bissen.
»Was meinst du, wird passieren?«
Er schüttelt als Antwort langsam den Kopf. »Keine Ahnung. Ich habe nicht den leisesten Schimmer.« Er seufzt.
Wir reden weiter darüber, während wir unsere Sandwiches essen. Die Aktienkurse der Kasinos sind im Keller, die Regierung möchte die Besucher aus bestimmten Provinzen begrenzen, die Bauarbeiten verzögern sich, und die Kreditgeber werden ungeduldig. Pete schüttelt weiter den Kopf. Die ganze Branche steckt in der Krise. Man ist an verlässliche Profite und fröhliche Aktionäre gewöhnt. Eine alte Redensart, was den Bau von Kasinos in Macao angeht, besagt: »Bau es, und sie werden kommen«. Jetzt ist das wohl nicht mehr so. Pete trinkt seinen Tee in kleinen Schlucken.
Als Yok Lan aufsteht, um zu gehen, kommt sie und legt mir die Hand auf die Schulter und lächelt zu mir herunter. Ihr Gesicht ist rund und zufrieden, die Augen sind halb geschlossen wie die eines meditierenden Buddhas.
Ich stelle sie Pete vor. »Das ist Yok Lan. Sie ist Gigis Großmutter.«
Pete sagt etwas auf Kantonesisch. Sie geht mit einem Lächeln und einem Nicken des Kopfes.
»Was hast du zu ihr gesagt?«
»›Nett, Sie kennenzulernen‹ und ›man sieht sich‹.«
Ich ertappe mich dabei, wie ich ihn überrascht anstarre, aber er merkt es nicht; seine Aufmerksamkeit ist auf das Sandwich gerichtet.
»Die sind wirklich gut, Grace.« Sein Gesichtsausdruck erinnert mich an einen jüngeren Pete. Einen Pete mit dem Mund voller Tomatentarte.
»Danke«, flüstere ich.
»Es ist ein schönes Café. Ehrlich.«
Ich sehe zu ihm auf und lächle schüchtern. Wir essen schweigend fertig. Es ist ein angenehmes, freundliches, kein peinliches Schweigen.
Er küsst mich nicht zum Abschied, doch er legt mir die Hand auf die Schulter, wie Yok Lan es getan hat. Er drückt sie leicht. Wärme durchströmt meinen Körper, und obwohl ich weiß, dass unsere Probleme noch lange nicht gelöst sind, fühlt es sich so an, als könnten sie gelöst werden, eines Tages. Mein
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