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Der Duft

Titel: Der Duft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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gekauft hatte, auf den Tisch. Sie hatte es sich angewöhnt, abends nach dem Joggen auf
     dem Zimmer nur eine Kleinigkeit zu essen.
    Sie zog ihr Sportzeug an und verließ das Hotel. Die Herbstluft war angenehm frisch. Wie immer dauerte es nicht lange, bis
     der Rhythmus des Laufens sie entspannte und ihren Kopf leerte. Sie dachte an ihre Wut auf Rico und suchte in ihrem Inneren
     nach der Ruhe und Kraft, die ihr auch früher schon geholfen hatten, ihre Emotionen zu unterdrücken. Sie durfte sich nicht
     gehen lassen, niemals die Kontrolle über sich verlieren. Sie durfte auf keinen Fall so werden wie ihre Mutter.
    Ihre Gedanken glitten unfreiwillig zurück zu jenem Tag, als sie zum ersten Mal gespürt hatte, dass etwas nicht stimmte. Sie
     war fünf Jahre alt gewesen. Die nette Psychologin hatte sie später gebeten, die Szene so zu erzählen, als sei sie einem fremden
     Kind zugestoßen:
     
    Das kleine Mädchen läuft in die Küche. Die Mutter steht am Herd. Sie hat eine rot-weiß karierte Schürze umgebunden. Sie lächelt.
    |36|
»Guck mal, Mama!«, ruft das kleine Mädchen und schwenkt ein Blatt Papier in der Hand. »Hab ich für dich gemalt!«
    Die Mutter nimmt das Bild in die Hand. Es ist eine krakelige Kinderzeichnung, ein Strichmännchen mit einem viel zu großen
     Kopf. Die Augen sind unregelmäßig, wie Kartoffeln, der Mund nur ein schmaler Strich. Ein paar Zacken auf dem Kopf sind die
     Haare. Eckige Ohren stehen von den Seiten ab.
    Die Mutter lächelt nicht mehr. Ihre Augen sind groß. Sie starrt das kleine Mädchen an. »Wo … wo hast du das gesehen?«, fragt
     sie leise.
    Das Mädchen versteht die Frage nicht. Es weiß nicht, warum seine Mutter sich nicht freut, warum ihr Tonfall so seltsam ist.
    »Wo hast du diesen Mann gesehen?« Die Stimme ihrer Mutter ist schrill, vorwurfsvoll.
    Das Mädchen fängt an zu weinen. Es spürt, dass es etwas Schlimmes gemacht hat, aber es weiß nicht, was. »Das … das ist kein
     Mann«, stammelt es. »Das bist du, Mama!«
    Die Mutter schüttelt den Kopf. Tränen laufen über ihre Wangen. »Nein, das bin nicht ich«, flüstert sie. Und dann, lauter,
     wütend: »Das bin nicht ich!« Sie zerknüllt das Bild und wirft es in den Mülleimer.
    Das kleine Mädchen läuft weinend aus der Küche. Es wird kein Bild mehr malen, weder für seine Mutter noch für irgendjemanden
     sonst. Nie wieder.
     
    Marie wusste noch, dass ihre Mutter später zu ihr gekommen war und sich entschuldigt hatte, aber sie konnte sich nicht mehr
     genau daran erinnern. Sie wusste nur, dass dieses schreckliche Gefühl, etwas Schlimmes getan zu haben, irgendwie schuld zu
     sein an allem, was danach geschehen war, sie nie mehr losgelassen hatte.
    |37| Sie merkte, dass sie vor Erregung zu schnell gelaufen war, und verringerte ihr Tempo. Keuchend erreichte sie das Hotel. Als
     sie ihr Zimmer betrat, hatte sich ihr Puls wieder normalisiert. Sie schaltete einen Nachrichtensender ein. Während sie den
     Salat aß, verfolgte sie ohne großes Interesse einen Bericht über die bevorstehende Gipfelkonferenz in Saudi-Arabien, die den
     jahrzehntelangen Palästina-Konflikt endgültig beilegen sollte. Neben den USA und Israel würde die gesamte Arabische Liga einschließlich
     Syrien, Iran und natürlich der Palästinenser daran teilnehmen. Hinzu kamen Afghanistan, Pakistan, Indien, China und Russland.
     Die Konferenz fand unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen auf Einladung des Saudischen Königshauses statt. Doch
     der Kommentator erklärte, ihr Zustandekommen sei in erster Linie den unermüdlichen Bemühungen des neuen US-Präsidenten Zinger
     zu verdanken.
    Zwar glaubte kaum ein politischer Beobachter, bei der Konferenz könne tatsächlich ein Durchbruch erzielt werden. Aber allein
     die Tatsache, dass zum ersten Mal wirklich alle direkt und indirekt beteiligten Parteien an einem Tisch sitzen würden, war
     ein großartiger Erfolg und weckte neue Zuversicht, einen der schwierigsten und gefährlichsten Konflikte der Welt vielleicht
     eines Tages doch noch friedlich beilegen zu können.
    Der hoffnungsvolle Tonfall des Berichts konnte Maries trübe Stimmung nicht aufhellen. Sie schaltete den Fernseher aus, duschte
     und ging ins Bett.
    Dunkle Träume suchten sie in der Nacht heim. Träume, in denen Rico sie auslachte, sie dann packte, festhielt, an sich presste.
     Im Traum war sie plötzlich schwach wie ihre Mutter. Sie versuchte, sich gegen Ricos starke Arme zu wehren, doch es ging nicht.
     Sie weinte

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