Der Duke, der mich verführte
lautete:
An Euer Gnaden, die Duchess of Bradford
Es war ganz entzückend, ein glückliches Paar von so ausgesuchtem Stand in der Oper zu sehen. Ich muss gestehen, dass es schon eine Weile her ist, als ich zuletzt solch aufrichtige und innige Zugetanheit zwischen einem Mann und seiner Frau beobachten konnte. Ich wünsche Ihnen und Ihrem Gatten, dass Ihr Glück andauern möge. Wiewohl mein Mann Ihrem Vater während der letzten Monate sehr kritisch gegenüberstand, war er ihm doch stets ein guter Freund. Ich möchte Euer Gnaden in aller Bescheidenheit bitten zu verstehen, dass mein Mann in bester Absicht gehandelt hat und lediglich wünschte, die Untertanen Seiner Majestät zu schützen, nachdem ein unaussprechlicher Vorfall, der sich vor vielen Jahren ereignet und unseren Sohn auf das Schrecklichste getroffen hat, unser aller Leben für immer verändert hat. Da ich davon ausgehe, dass Euer Gnaden in den kommenden Jahren von großem Einfluss in London sein werden und auf Ihre Nachsicht und Güte vertraue, würde ich gar so weit gehen, in dieser Angelegenheit um Vergebung zu bitten, in der Hoffnung, dass wir noch einmal von vorn beginnen können, was, wie ich glaube, für uns alle von Gewinn wäre.
Ihre ergebenste
Lady Winfield
Justine schnaubte verächtlich und hätte den Brief am liebsten vor den Augen des Lakaien in winzig kleine Stücke gerissen und ihn mit den Worten hinausgeworfen: „Mach, dass du dich wegscherst, Kleiner, sonst kommt dich der schwarze Mann holen.“ Aber eine Duchess tat so etwas nicht. Sie wäre weder so unbedacht noch so rüde oder taktlos. Zudem galt es den guten Namen ihres Gatten zu bedenken. Und den ihrer Eltern.
Eine Duchess zu sein, konnte einem auch noch die letzte Freude rauben und einen vor so manches Dilemma stellen. Genau genommen musste man eine ziemliche Heuchlerin sein.
Während der rot livrierte Lakai vor der Tür des Arbeitszimmers wartete, setzte Justine sich an Radcliffs Schreibtisch und brachte folgende artige Erwiderung zu Papier:
Der werten Marchioness of Winfield
Ihre Worte der Entschuldigung ehren mich zutiefst. Wie Sie wissen, hat mein Vater sehr unter den Anschuldigungen zu leiden gehabt, die seine unkonventionellen Ansichten ihm eingebracht haben. Die Studien meines Vaters haben eindeutig bewiesen, dass gewisse Vorlieben angeboren sind. Gott sieht – im Gegensatz zu uns Menschen – keine Missverständnisse vor. Ich weiß, dass Ihrem Sohn Schlimmes widerfahren ist, was mir von Herzen leidtut. Niemals hätte ihr Sohn erleiden dürfen, was dieser Schuft ihm angetan hat. Doch verstehen Sie bitte, dass der Schmerz, den Sie und Ihr Gatte erfahren haben, nicht unähnlich jenem ist, den ich erfahren musste, als ich das Leben und die Errungenschaften meines Vaters in aller Öffentlichkeit diskreditiert sah. Von einer solchen Bloßstellung erholt man sich nur schwer, wenn überhaupt. Es fiele mir leichter, Ihnen zu vergeben, wenn ich wüsste, dass Sie es aufrichtig meinen.
Verbindlichst,
Duchess of Bradford
Der Lakai eilte davon, um sich nicht einmal eine Stunde darauf mit folgendem Brief erneut einzufinden und abermals einer umgehenden Antwort zu harren:
An Euer Gnaden, die Duchess of Bradford
Unsere Bitte um Vergebung ist zutiefst aufrichtig, und wir hoffen, Sie dessen im Laufe der Zeit zu versichern. Mein Mann hat die Angelegenheit gründlich durchdacht und sich großzügig dazu bereitgefunden, alle Auslagen zu ersetzen, die Ihrem Vater durch das leidige Verfahren entstanden sind. Er hofft, damit unseren guten Willen unter Beweis zu stellen. Wenngleich wir die Ansichten Ihres Vaters auch künftig nicht werden gutheißen können, so glauben wir doch, dass Respekt nicht bedeutet, stets gleicher Meinung zu sein. Wir hoffen, dass Sie dies genauso sehen.
Ihre ergebenste
Lady Winfield
Ungläubig blickte Justine auf den Brief. Wie sonderbar. Genau das hatte Bradford auch mal im Hinblick auf Respekt gesagt. Was wiederum hieß, dass Lady Winfield so ganz unrecht wohl nicht haben konnte. Und vielleicht meinte sie es wirklich so, wie sie es sagte.
Obwohl Justine den Winfields, nach allem, was sie ihrem Vater angetan hatten, noch immer nicht so ganz traute, wusste sie doch, dass man nur dann mit den anderen Kindern im Park Ball spielen konnte, wenn man ihnen den Ball auch zuwarf. Wenn man mit bösen Kindern spielte, lief man zwar Gefahr, dass sie einem den Ball klauten, aber wenn alles gut ging – und darauf hoffte Justine –, war es doch eine große Freude,
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