Der Duke, der mich verführte
will über alles triumphieren, was sich ihr in den Weg stellt.“
Justine holte tief Luft und seufzte so aufgewühlt, als habe sie nie romantischere Worte gehört.
Gespannt beugte sie sich vor und deutete dann auf das schweigende Grüppchen, das der grün gewandeten Sängerin gegenüberstand. „Und was ist mit denen? Wer sind diese Leute?“
„Sie stehen für das Dorf.“
Sie runzelte die Stirn. „Das Dorf? Welches Dorf? Oh, wie peinlich das ist. Bin ich hier die Einzige, die kein Wort versteht?“
Es belustigte Radcliff, dass sie so darauf bedacht zu sein schien, der Handlung zu folgen. Die meisten schliefen irgendwann einfach ein. Oder beobachteten durch ihr Opernglas die anderen Gäste. „Ich dachte, du machst dir nichts aus Opern.“
„Tue ich auch nicht. Aber diese hier birgt doch einige gelungene Momente.“ Sie hielt inne und blickte ihn an. „Ich sollte dir danken, dass du mich dazu überredet hast. Von der Art deiner Überredungskunst mal abgesehen, gefällt mir der Abend sehr.“
Lächelnd schüttelte er den Kopf. Frauen sahen alles so völlig anders. Versonnen ließ er den Blick durch den Saal schweifen, als er auf einmal Lord und Lady Winfield in der Loge gegenüber entdeckte. Da verging ihm das Lächeln, und er fixierte den schon etwas bejahrten Marquis, der Justines Vater vor Gericht gebracht hatte, mit finsterem Blick.
Lady Winfield neigte ihr in Würde ergrautes Haupt ihrem Gatten zu. Ihr Opernglas zweifelsfrei auf Justine gerichtet, suchte sie eindringlich das Gehör ihres Mannes. Der Marquis schüttelte seine graue Mähne und erwiderte etwas hinter weiß behandschuhter Hand. Er schien ziemlich aufgebracht zu sein.
Es war offensichtlich, dass sie über Justine redeten.
Radcliff beugte sich zu ihr vor und flüsterte in die weichen, kastanienbraunen Locken, die ihr Ohr bedeckten: „Ich würde vorschlagen, dass wir aufbrechen, Liebste.“
Justine erstarrte und schaute ihn fragend an. „Warum? Stimmt etwas nicht?“
Es war zwecklos, sie anzulügen. „Lord Winfield und seine Frau sitzen uns direkt gegenüber. Mir wäre es lieber, wir würden jetzt gehen. Ehe ich noch in ihre Loge springe und den Skandal um deinen Vater wie die Sonntagspredigt aussehen lasse.“
Justine zögerte, warf einen kurzen Blick in die Loge von Lord Winfield und seiner Gemahlin, dann reckte sie das Kinn, wandte sich wieder der Bühne zu und hob das Opernglas an die Augen. „Wir bleiben“, entschied sie. „Ich möchte mir das Ende nur ungern entgehen lassen. Sollte dich das Bedürfnis überkommen, in ihre Loge zu springen, werde ich dich gewiss nicht davon abhalten.“
Radcliff grinste. Etwas anderes hätte er von ihr auch nicht erwartet. Er nahm die Hand von ihrem Stuhl, doch sein Herz jubelte Justine zu.
Wohl wissend, dass Lord und Lady Winfield sie noch immer mit Argusaugen musterten, legte er seine Hand mit Bedacht auf Justines Hand, führte sie an seine Lippen und küsste sie voller Hingabe.
Bei jedem Kuss strich er mit den Fingern sinnlich über ihre behandschuhten Knöchel, doch außer dass Justines Brust sich etwas rascher hob, war sie die Ruhe in Person, während sie durch das Opernglas zur Bühne blickte. „Was um alles in der Welt ist in dich gefahren, Bradford? Ist dir bewusst, dass halb London uns beobachtet und du dich sehr ungebührlich benimmst?“
„Ich will die Winfields eifersüchtig machen“, sagte er und rieb mit dem Daumen ihre Hand. „Ihre Ehe soll so entsetzlich sein, dass die unsere im Vergleich wie ein Märchen anmutet. Wir sollten uns glücklich schätzen. Und es genießen.“
Justine drückte seine Hand. Fest. „Dann schätze dich für uns glücklich und genieße. Aber bilde dir nicht ein, du bekämst so bald etwas anderes zu küssen.“
Er verkniff sich ein Lachen und presste seine Lippen fest auf ihre Hand. Es war ihm egal, wie lange es dauern würde. Er war fest entschlossen, um seine Frau zu werben und sie Stück für Stück zu erobern. Er würde so lange werben und erobern, werben und erobern, bis sie sein war. Mit Leib und Seele.
Am folgenden Nachmittag
Es überraschte Justine nicht, als ein Lakai in roter Livree vor der Tür stand und ihr einen Brief von Lady Winfield überreichte. Was sie hingegen überraschte, war, dass er sich weigerte, ohne eine Antwort zu gehen.
So sah sie sich gezwungen, den Brief zu lesen und angemessen zu erwidern, ohne sich mit Bradford beraten zu können, der ausgerechnet heute mit seinem Sekretär unterwegs war.
Der Brief
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