Der Duke, der mich verführte
war. Als ich dann nach London kam, merkte ich, dass man mich immer noch als eine Art Frucht betrachtete, nur nicht mehr ganz so exotisch. Da wurde mir zum ersten Mal klar, dass meine unkonventionelle Erziehung ein Nachteil war. Ich lief ja nicht einmal wie die anderen Debütantinnen! Dieses Buch war meine Rettung. Indem ich es in- und auswendig gelernt habe, habe ich so langsam begriffen, was von mir erwartet wurde.“
Noch immer in die Bettdecke gehüllt, kletterte Justine aus dem Bett. Ihre Beine fühlten sich an, als wären sie aus Plumpudding. „Mir kam da gerade eine Idee, wie du deiner Obsession Herr werden könntest. Soll ich sie dir darlegen?“
Er ließ seinen Blick über sie schweifen, wedelte noch einmal mit dem Buch und lehnte sich zurück. „Du darfst mir alles darlegen. Zumal ich wirklich lernen muss, mich besser zu beherrschen. Dürfte ich deshalb vorschlagen, dass du deinen herrlichen Leib zunächst einmal mit Kleidern versiehst und in meiner Gegenwart auch bekleidet bleibst? Ansonsten wirst du mir keine große Hilfe sein. Ich danke dir.“
Justine zupfte die Bettdecke zurecht. Schamesröte schoss ihr in die Wangen. Er hatte natürlich recht. Es war, als würde man einem Löwen eine Gazelle unter die Nase halten. „Ähm, ja. Das ist natürlich richtig. Warum wartest du nicht in deinem Arbeitszimmer, während ich mich anziehe? Und sei gewarnt: Es könnte ein Weilchen dauern.“
„Lass dir so viel Zeit wie nötig.“
„Oh, und während du wartest …“, fügte sie rasch hinzu, „… hätte ich eine kleine Aufgabe für dich.“
„Eine Aufgabe?“
„Ja. Ich möchte, dass du eine Liste mit zehn Dingen schreibst, die ich mir im Laufe meiner Ehe von dir wünschen könnte – und dazu jeweils eine kurze Begründung, warum du glaubst, dass ich sie mir wünsche.“ Ihr Vater und ihre Lehrer hatten sie immer solche Listen schreiben lassen, wenn sie prüfen wollten, ob sie etwas verstanden hatte.
„Gut. Ich bin dann im Arbeitszimmer. Meine Liste schreiben.“ Er erhob sich zu seiner vollen Größe und schlenderte am Bett vorbei. Lässig warf er die Benimmfibel auf die zerwühlten Laken, öffnete die Tür und schloss sie im Hinausgehen hinter sich.
Justine eilte zum Klingelzug und zog kräftig daran. Heute würde sie Henri sagen, dass er doppelten Aufwand betreiben sollte.
Dann ließ sie sich wieder aufs Bett fallen, nahm das kleine rote Buch zur Hand und strich liebevoll über die ledergebundenen Kanten, um die ihr Ehemann eben noch seine Finger geschlossen hatte. „Radcliff, Liebster“, flüsterte sie laut, als könnte er sie hören. „Für dich würde ich alles tun.“
14. Skandal
Betrüblicherweise werden Sinn und Zweck des Damenknickses nur zu gern vergessen. Ein Knicks ist eine Höflichkeitsbezeugung in Anmut und Würde. Richtig ausgeführt, wird er der Ihnen vorgestellten Person für lange, lange Zeit in Erinnerung bleiben.
aus: Wie man einen Skandal vermeidet
E ine brennende Zigarre in der einen, eine tintenbenetzte Feder in der anderen Hand, saß Radcliff da, starrte mit leerem Blick auf seine unvollendete Liste und versuchte, sich zwei weitere Punkte aus den Fingern zu saugen. Eigentlich hatte er doch schon alles. Aber so wie er Justine kannte, wollte sie ihm mit dieser Aufgabe bestimmt irgendetwas beweisen. Beispielsweise, dass er nicht den Hauch einer Ahnung hatte, was sie sich wünschte. Womit sie gar nicht mal so unrecht hatte.
Rasch las er sich noch einmal durch, was er bislang geschrieben hatte.
Zehn Dinge, die meine Frau sich von mir wünschen könnte und weshalb:
1. Respekt (weil sie ihn verdient hat)
2. Geld (weil sie und ihre Eltern welches brauchen)
3. Kleider (denn sie ist nicht Eva)
4. Schmuck (weil sie damit betörend aussieht)
5. Kinder (weil sie eine gute Mutter wäre)
6. Reisen (weil sie Afrika vermisst)
7. Romantik (weil das alle Frauen wollen)
8. mich (weil alles zuvor Genannte ohne mich nicht möglich wäre)
Und …? Was noch? Was konnte sie denn noch von ihm wollen? Erlangung der Weltherrschaft? Haha, gewiss. Obwohl … Und falls doch, würde Justine es an neunte oder an zehnte Stelle setzen?
Seinen Gedanken nachhängend nahm er einen tiefen Zug von seiner Zigarre und blies den Rauch bedächtig aus. Der Rauch waberte eine Weile übers Papier und löste sich schließlich in Wohlgefallen auf. Radcliff starrte noch immer auf seine Worte, mittlerweile völlig am Ende seiner Weisheit.
Verdammt. Am besten fing er noch mal von vorn an.
Er warf seine
Weitere Kostenlose Bücher