Der Duke, der mich verführte
Gnaden“, flüsterte Matilda mit schwacher Stimme, als wären sie einander nie zuvor begegnet. Ihre Stimme klang fremd, ungewöhnlich leise und kraftlos. Er erkannte sie kaum wieder.
Knapp deutete er auf einen Stuhl. „Ja … nun ja. Setzen Sie sich, setzen Sie sich doch. Meine Frau wird gleich hier sein. Dann können Sie Ihr Anliegen vorbringen.“
Verstohlen beobachtete er, wie sie zu einem der Stühle humpelte. Vorsichtig drehte sie sich um, stützte sich mit beiden Händen auf die Armlehnen und setzte sich, wobei sie hörbar nach Luft rang, indes kein Wort über ihren Zustand verlor.
Zu seiner unendlichen Erleichterung erklang just in diesem Augenblick abermals das laute Geklacker von Absätzen. Mit raschelnden Röcken kam Justine hereingerauscht, blieb stehen, kaum dass sie zur Tür herein war, und hielt mit einer Hand ihren sich bauschenden Rock zusammen, in der anderen steckte die Benimmfibel, die er sich vorhin zu Gemüte geführt hatte. Sie wurde Matildas Anwesenheit gewahr, noch ehe sie ihre haselbraunen Augen fragend auf ihn richtete.
Radcliff stockte der Atem, als ihm bewusst wurde, wie wunderschön seine Frau war – und das, obwohl ihr nun tiefe Besorgnis anzusehen war. Lange, kastanienbraune Locken umrahmten das liebliche Oval ihres Gesichts. Ein Gesicht, das gerade zudem ganz reizend zu erröten begann, was wiederum seinen Blick auf ihren anmutig geschwungenen Hals lenkte …
Und schon waren die Erinnerungen da: Erinnerungen an ihren seidig glatten Körper, der sich warm und weich an seinen schmiegte, an die zarte Haut ihrer Schenkel, über die er seine Hände hatte gleiten lassen, an ihrer beider ekstatische Schreie im Dunkel der Nacht, an ihre Finger, mit denen sie seinen Hintern umfasste … All das zehrte an seinen Gedanken und ließ sie in einem Augenblick verglühen.
Er zwang sich, sie – und nur sie – anzuschauen und ihr so begreiflich zu machen, in welch schrecklicher Zwangslage er sich befand.
Schließlich deutete er mit vager Geste auf Matilda. „Dürfte ich dir Miss Matilda Thurlow vorstellen.“ Er deutete auf Justine. „Miss Thurlow, die Duchess of Bradford, meine Frau.“
Matilda stand auf, und obwohl sie bei jedem Schritt schmerzlich das Gesicht verzog, schaffte sie es bis zu Justine. Sie knickste so tief, wie ihre Umstände es erlaubten, und richtete sich langsam wieder auf. Als wäre es damit nicht genug, neigte sie auch noch ergeben den Kopf vor Justine, dass die gelben Spitzenbänder und künstlichen blauen Blumen ihres Hutes nur so wippten. „Euer Gnaden. Es ist mir eine Ehre.“
Justine war sichtlich entsetzt, als sie Matilda prüfend betrachtete. „Aber Miss Thurlow … Ihr Gesicht! Was ist denn da passiert?“
Matilda hielt den Kopf geneigt und schwieg. Schließlich fuhr sie sich mit den behandschuhten Händen über die Hüften und ließ sie auf ihren sich wölbenden Bauch sinken. Ihre Schultern bebten.
Ein herzzerreißendes Schluchzen entrang sich ihr, gefolgt von einem weiteren gequälten Laut. „V… Vergeben Sie m… mir, Euer G… Gnaden. Ich hätte nicht herkommen sollen.“
„Unsinn“, befand Justine. „Sie brauchen doch ganz offensichtlich Hilfe. Was können wir für Sie tun, Miss Thurlow? Sagen Sie es einfach, und wir schauen, was sich machen lässt. Bevor Sie uns nicht erzählt haben, was los ist, lasse ich Sie nicht gehen.“
Matilda fing erneut zu schluchzen an. „Ich … ich wollte um fünf Pfund bitten. Meine Schwester lässt mich nicht bei sich wohnen, ohne dass ich ihr was zahle. Und Carlton hat … hat mir alles genommen, was ich habe. Alles. Ich wollte zurück ins Bordell, wo ich früher gearbeitet habe, und mir da das Geld verdienen, aber … In meinem Zustand wollten sie mich da nicht.“ Wieder schluchzte sie.
Justine warf Radcliff einen kurzen, sichtlich entgeisterten Blick zu, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder Matilda zuwandte. Beschwichtigend legte sie eine Hand auf Matildas Arm. „Miss Thurlow“, sagte sie leise. „Ich verspreche Ihnen, dass alles gut wird. Aber hören Sie bitte auf zu weinen.“
Radcliff holte tief Luft und machte sich bereit zu sagen, was gesagt werden musste. Und es würde nicht im Mindesten höflich sein. „Wahrscheinlich sollte ich nicht unnötig darum herumreden, Justine. In unserer Hochzeitsnacht musste ich fort, um Miss Thurlow in einer ähnlichen Situation beizustehen. Nichts ist in besagter Nacht zwischen uns geschehen. Absolut nichts. Ich habe ihr lediglich meine Hilfe angeboten. Und doch,
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