Der Duke, der mich verführte
Matilda und half ihr von ihrem Stuhl auf.
Matilda zögerte, doch dann legte auch sie einen Arm um Justine. „Sie sind zu gütig, Euer Gnaden.“
„Ich bitte Sie. Es wäre mir lieber, wenn Sie mich Justine nennen würden.“
Matilda schnappte nach Luft und schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre Locken und ihr Haarknoten wippten. „Nein, das könnte ich niemals!“
„Ich wäre beleidigt, wenn Sie es nicht täten. Wir sind hier zu Hause, und in meinem Haus möchte ich keine solchen Allüren. Bis zum Beweis des Gegenteils sind wir beide jetzt Freundinnen.“
Ungläubig starrte Matilda sie an.
Justine lächelte und legte ihren Arm fester um Matilda. „Mir ist wohl bewusst, dass die Umstände Ihres Aufenthalts in diesem Haus fragwürdiger Natur sind, aber wenn Sie mir versprechen, mich nicht nach meinem gesellschaftlichen Ansehen zu beurteilen, verspreche ich Ihnen, Sie nicht nach dem Ihren zu beurteilen.“
Nun legte auch Matilda ihren Arm fester um Justine, und ein feines Lächeln huschte über ihre Lippen. „Werden Sie dann auch Matilda zu mir sagen?“
Justine lächelte. „Jawohl, das werde ich.“
Jetzt strahlte Matilda übers ganze Gesicht, und ihre blauen Augen glänzten.
„Ähem …“, räusperte Radcliff sich vernehmlich. „Wollen die Damen sich etwa die ganze Nacht so in den Armen halten?“ Er grinste und deutete mit seinem nun frisch gefüllten Glas auf sie beide. Portwein schwappte auf den Tisch. „Ich fühle mich irgendwie ausgeschlossen.“
Justine verdrehte nur die Augen und zog Matilda zur Tür. Gut so, dachte sie. Sollte er sich ruhig ausgeschlossen fühlen. „Gute Nacht, Bradford“, rief sie über die Schulter. „Und trink nicht mehr so viel. Es bekommt deinem Humor nicht.“
„Ich wusste bislang gar nicht, dass ich Humor habe“, rief er zurück. „Prost und schlaf süß, Liebste. Vergiss nicht, von mir zu träumen, hörst du? Aber nur was Schönes. Denn das habe ich mir verdient.“
Justine musste sich ein Lächeln verkneifen. Von ihm träumen, das war ja allerhand. Er bildete sich wirklich ganz schön was ein.
Arm in Arm und die Röcke im Gleichschritt raschelnd, gingen sie und Matilda zum Ostflügel. Kein weiteres Wort fiel zwischen ihnen. Obwohl Justine zu gern mehr über Matildas missliche Lage erfahren hätte und auch wissen wollte, weshalb sie ausgerechnet Radcliff um Hilfe gebeten hatte, wusste sie doch, dass die arme Frau völlig erschöpft war und sich erst einmal ausruhen musste.
Als sie bei Matildas Zimmer angelangt waren, stieß Justine die Tür auf und führte Matilda zu dem geräumigen Himmelbett. Sowie sie Matilda sicher abgesetzt hatte, trat sie seufzend einen Schritt zurück. „So, da wären wir. Wie gefällt es Ihnen?“
Matilda sah sich staunend um, holte tief Luft und strich mit der Hand über die elegante Bettdecke. „Es ist Wochen her, dass ich ein Bett ganz für mich allein hatte.“
Justine entging nicht die tiefe Erleichterung und stille Zufriedenheit, die in diesen Worten mitschwangen. Die arme Frau tat ihr leid, konnte sie sich doch vorstellen, was sie – bei ihrem Beruf – alles von Männern hatte erdulden müssen. Grausamkeiten, die Justine das erste Mal mit eigenen Augen hatte ansehen müssen, als sie zwölf gewesen war. In einigen Eingeborenendörfern hatte man die Frauen verfeindeter Stämme geraubt und hatte sie nun schlechter als Vieh behandelt. Nur zögerlich hatte ihr Vater ihren ständigen Fragen nachgegeben und sie darüber aufgeklärt, weshalb die Frauen an Händen und Füßen gefesselt vor den Hütten auf der Erde schlafen mussten und nur bei Bedarf in die Hütten geholt wurden, aus denen sie wenig später weinend wieder hinausgeworfen wurden.
Es war die einzig schlechte Erinnerung an ihre Kindheit im afrikanischen Busch und einer der vielen Gründe, warum sie darauf bestanden hatte, Matilda zu helfen. Für die misshandelten Frauen in den Dörfern hatte sie nur wenig mehr tun können, als ihnen in einem unbemerkten Augenblick die Fesseln von Händen und Füßen zu schneiden. Doch die Frauen waren so eingeschüchtert gewesen, dass sie sich geweigert hatten wegzulaufen. Hier jedoch, das wusste Justine, könnte sie mehr tun. Sie würde wiedergutmachen, was ihr damals nicht möglich gewesen war.
„Wenn Sie etwas brauchen, läuten Sie einfach. Erschrecken Sie sich nicht, wenn ein junger Franzose auf Ihr Zimmer kommt. Das ist Henri, mein Kammerdiener. Er ist reizend. Mein Zimmer ist auch nur ein paar Türen
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