Der Duke, der mich verführte
könnte Ihnen jetzt sehr weh tun, Justine. Vielleicht sollte ich es einfach tun. Es würde meinem Bruder recht geschehen. Wie ich höre, sollt ihr beide ja verdammt glücklich miteinander sein. Los, erzählen Sie mal. Ich bin gespannt.“
Die Wände um sie her schienen zu schwanken, das Blut rauschte ihr in den Ohren. Sie konnte keinen einzigen Gedanken fassen und fürchtete, gleich in eine Ohnmacht zu sinken.
Verzweifelt sah sie sich um. Wenn Radcliff seine Wände doch nur mit schmucken Pistolen oder Degen dekoriert hätte! Doch da war nichts außer Gemälden, endlose Reihen düsterer Ahnenbildnisse. Weshalb sie sich kurzerhand auch eine der Bronzefiguren von der Wandkonsole schnappte und auf Carlton zustürmte.
„Sie wollen sich mit mir anlegen?“, rief er lachend. „Wollen Sie das wirklich?“
Doch da war Justine schon bei ihm und schleuderte ihm die Figur an den Kopf. Er duckte sich, und ihre notdürftige Waffe knallte kläglich gegen die Wand, wo sie immerhin ein weiteres Bildnis zu Fall brachte. Aber mittlerweile war Justine wie von Sinnen. In blindem Zorn stürzte sie sich auf ihn, holte mit der bloßen Hand nach ihm aus, zielte auf sein Gesicht.
Ehe ihre Hand ihn traf, hatte Carlton sie abgefangen und riss ihren Arm zurück. Er fletschte die Zähne und quetschte ihre Hand mit der seinen, bis Justine vor Schmerz aufschrie. Tränen schossen ihr in die Augen.
Sie keuchte vor Anstrengung, als sie sich mit aller Kraft dagegen wehrte, dass er sie zu Boden drückte.
Doch vergebens. Ehe sie es sich versah, fiel sie auf die Knie. Wieder keuchte sie auf, diesmal weniger vor Schmerz als vor schierer Verzweiflung.
Zufrieden grunzend ließ Carlton von ihr ab und ging zu Matilda. Er streckte seine behandschuhte Hand nach ihr aus. „Komm, Matilda.“
Schluchzend schüttelte Matilda den Kopf, hielt die Arme fest um ihren Bauch geschlungen und rührte sich nicht.
„Matilda“, knurrte er. „Los, steh schon auf.“
Justine versuchte, sich zu erheben und Matilda zu Hilfe zu eilen, doch ehe sie es sich versah, war Carlton wieder bei ihr und drohte ihr mit dem Stock. „Untersteh dich“, herrschte er sie an.
„Ich bin kein Hund, du Bastard“, zischte sie, stützte sich mit den flachen Händen auf dem Boden ab und sprang auf.
Der erste Schlag traf sie dennoch unerwartet und mit solcher Wucht, dass sie nach vorn stolperte. Obwohl ihr Rücken brannte wie Feuer, gelang es ihr irgendwie, sich aufzurichten und ihn abermals anzugreifen.
Und wieder sauste der Stock auf sie nieder, diesmal auf die Schulter, wo sie sich kaum gegen ihn schützen konnte. Ihr wurde schwarz vor Augen, ihre Knie gaben nach, und sie stürzte an Carlton vorbei zu Boden.
„Was zum Teufel ist jetzt in dich gefahren?!“, brüllte da jemand.
Radcliff.
Ächzend rang Justine nach Luft. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Sie wollte aufstehen, sich wenigstens aufsetzen, doch ihre zitternden Arme versagten unter ihr.
Um sie herum wurde weiter wild geschrien und gepoltert.
„Ich bring dich um!“, schrie Radcliff. Seine Stimme hallte in ihr wider, war ihr dabei so fremd, als wäre es ein Traum. Ein schrecklicher Traum, aus dem sie nie wieder aufwachen würde. „Ich bringe dich um – und wenn ich dafür hängen muss!“
Sie sah, wie Radcliff mit den Fäusten auf Carltons Kopf eindrosch, wie er ihn heftig gegen die Wand schleuderte, wobei noch mehr Bilder zu Boden krachten, doch ihre größte Sorge galt gerade Matilda, die so heftig keuchte und schluchzte, dass es kaum auszuhalten war.
„Justine!“ Auf einmal war Radcliff bei ihr. Mit nichts als einer Hose bekleidet, fiel er neben ihr auf die Knie, beugte sich über sie und strich zitternd über ihre Schultern, ihr Gesicht. Sein Atem ging hastig, seine nackte Brust hob und senkte sich schwer.
Sanft zog er sie an sich, wärmte sie, wich dann wieder zurück, um sie eingehend zu betrachten. Sein dunkles Haar hing ihm in Strähnen ins Gesicht. „Justine“, sagte er besorgt. Tränen standen ihm in den Augen. „Mein Gott. Hat er dir etwas getan?“
„Radcliff“, brachte Justine trotz Schluchzern und Benommenheit hervor. „Jetzt ist alles gut.“
„Euer Gnaden!“ Jefferson, gefolgt von einer ganzen Dienerschar, rannte den Korridor entlang. „Euer Gnaden! Er hat sich gewaltsam Zutritt verschafft!“
Aber Jefferson, der eine tiefe Platzwunde im Gesicht hatte, fackelte nicht lange und packte sich Carlton, der sich gerade mühsam aufrappelte, und warf ihn den Dienern vor, damit sie
Weitere Kostenlose Bücher