Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Titel: Der dunkle Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
Vom Netzwerk:
alles.«
    »Jungen sind so dumm.«
    »Ich bin ein erwachsener Mann, Grace.«
    »Und ich bin kein Kind.« Ihre Stimme klang scharf, als würde sie mich damit schneiden, wenn sie könnte.
    »Ich wusste es einfach nicht.«
    Sie drehte sich auf die Seite und wandte mir den Rücken zu.
    Und ich sah es wieder, ich sah, wie kläglich ich es gehandhabt hatte.
    Sie war kaum zwischen den Bäumen verschwunden, da wusste ich, dass ich ihr nachlaufen musste. Ihr gehörte ein Winkel meiner Seele, den ich zu meiden gelernt hatte, eine verschlossene Kammer. Warum? Weil ich sie im Stich gelassen hatte. Ich hatte gewusst, dass es ihr wehtun würde, und ich war in eine ferne Stadt gezogen und hatte ihr Briefe geschickt.
    Leere Worte.
    Aber jetzt war ich hier. Sie litt jetzt.
    Also lief ich ihr nach. Ein paar angestrengte Augenblicke lang setzte sie ihre Flucht fort; ihre Fußsohlen blitzten braun und rosa und dann dunkelrot, als der Pfad sich hinabsenkte und sie über feuchten Lehm lief Als sie stehen blieb, tat sie es abrupt. Neben ihr fiel die Uferböschung steil ab, und einen Moment lang sah es aus, als wollte sie in den Fluss springen: Sie brauchte nur einen Schritt nach links zu tun und wäre verschwunden. Aber das tat sie nicht, und der Blick des gehetzten Tieres in ihren Augen verging in Sekundenschnelle.
    »Was willst du?«, fragte sie.
    »Dass du mich nicht hasst.«
    »Schön. Ich hasse dich nicht.«
    »Ich will, dass du es ernst meinst.«
    Sie lachte, und das tat weh; als sie sich umdrehte und weitergehen wollte, legte ich ihr die Hand auf die Schulter. Die Schulter war hart und heiß, und Grace erstarrte, als ich sie berührte. Dann fuhr sie herum und presste sich an mich, als könne sie mich besitzen. Ihre Hände legten sich um meinen Hinterkopf, sie küsste mich wild und wiegte sich an meinem Körper vor und zurück. Ihr Bikini war noch nass, und das darin aufgesogene Wasser war warm geworden; ich fühlte, wie es mein Hemd durch feuchtete.
    Ich nahm sie bei den Schultern und schob sie zurück. In ihrem Blick lag Trotz und noch etwas anderes.
    »Ich bin nicht so jung, wie du glaubst«, sagte sie.
    Wieder geriet ich aus der Fassung. »Es geht nicht ums Alter«, sagte ich. »Ich wusste, du würdest zurückkommen. Wenn ich dich nur genug liebte, würdest du zurückkommen.«
    »Du liebst mich nicht, Grace. Nicht so.«
    »Ich habe dich mein Leben lang geliebt. Ich hatte nur nicht den Mut, es dir zu sagen. Tja, aber jetzt habe ich keine Angst mehr. Ich habe vor nichts Angst.«
    »Grace —«
    Ihre Hände griffen an meinen Gürtel.
    »Ich kann es dir zeigen, Adam.«
    Ich packte ihre Hände, packte sie hart und riss sie weg. Es war alles falsch. Was sie da gesagt hatte, und der Ausdruck in ihrem Gesicht, als sie meine Zurückweisung begriff Sie versuchte es noch einmal, und ich hinderte sie. Sie taumelte zurück. Ich sah die Enttäuschung in ihrem Blick. Sie riss eine Hand hoch, und dann drehte sie sich um und rannte. Ihre Sohlen blitzten rot, als laufe sie über zerbrochenes Glas.
    Ihre Stimme war dünn und drang kaum über ihre Schulter hinweg. »Hast du es jemandem erzählt?«, fragte sie.
    »Natürlich nicht.«
    »Du hältst mich für ein albernes kleines Mädchen.«
    »Grace, ich liebe dich mehr als irgendjemanden sonst auf der Welt. Wieso ist es wichtig, welche Form die Liebe hat?«
    »Ich glaube, ich kann jetzt allein sein«, sagte sie.
    »Sei doch nicht so, Grace.«
    »Ich bin müde. Besuch mich später wieder.«
    Ich stand auf und dachte daran, sie noch einmal zu umarmen, aber sie hatte sich abgewandt. Also tätschelte ich ihren Arm dort, wo die Haut frei von Blutergüssen, Pflastern und Kanülen war.
    »Ruh dich aus«, sagte ich, und sie schloss die Augen. Aber als ich mich in der Tür noch einmal umdrehte, sah ich, dass sie zur Decke hinaufstarrte und auf dem verwaschenen Laken die Fäuste ballte.
    Wieder wanderte ich durch das diffuse Licht des Morgengrauens. Ich hatte kein Auto, aber nicht allzu weit entfernt war ein Frühstückslokal. Es öffnete um sechs; ich hatte ein paar Minuten vor der Tür gewartet, als zwei Autos um das Haus herum nach hinten fuhren. Eine Stahltür schlug gegen die Hohlblockwand, jemand kickte eine Flasche klappernd über den betonierten Boden. Das Licht ging an, und Wurstfinger drehten das CLOSED-Schild um. OPEN.
    Ich setzte mich an einen Tisch am Fenster und wartete auf den Kaffeeduft. Nach einer Minute kam die Kellnerin herüber, und das bereitwillige Lächeln verschwand von ihrem

Weitere Kostenlose Bücher