Der dunkle Fluss
sie stand zwischen mir und der Tür. Also ging ich zu ihr.
»Adam.« Sie fand den Mut, mir einen Schritt entgegenzukommen. Es hatte eine Zeit gegeben, da wäre sie auf mich zugestürzt und hätte mir mit sanften, trockenen Lippen einen Kuss auf die Wange gedrückt, aber jetzt tat sie es nicht. Sie war distanziert und kalt wie eine fremdländische Küste. »Du bist wieder zu Hause«, sagte sie.
»Janice.« Tausendmal hatte ich mir diesen Augenblick vorgestellt. Wie wir beide zum ersten Mal nach meinem Freispruch miteinander sprachen. Manchmal hatte sie sich in meiner Fantasie entschuldigt. Dann wieder hatte sie mich geschlagen oder angstvoll aufgeschrien. Aber die Realität war anders. Sie war von nervenzerreißender Beklommenheit. Sie hatte sich fest in der Gewalt und sah aus, als könnte sie sich im nächsten Moment abwenden und davongehen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Wo ist Dad?«, fragte ich.
»Er hat gesagt, ich soll hier draußen warten. Er meinte, vielleicht hilft es uns, wieder miteinander bekannt zu werden.«
»Ich dachte nicht, dass du noch viel mit mir zu tun haben willst.«
»Ich liebe deinen Vater«, sagte sie hölzern.
»Aber mich nicht?« Wir waren — wohl oder übel — fast zwanzig Jahre lang eine Familie gewesen. Ich konnte nicht verbergen, dass ich gekränkt war, und einen Augenblick lang spiegelte sich in ihrem Gesicht ein unbekannter Schmerz, den sie selbst empfand. Doch es dauerte nicht lange.
»Du wurdest freigesprochen«, sagte sie, »und damit muss ich eine Lügnerin sein.« Sie schniefte und setzte sich wieder. »Dein Vater hat unmissverständlich klargemacht, dass über Untaten von Familienmitgliedern nicht mehr geredet wird. Ich halte mich an seine Wünsche.«
»Warum glaube ich nicht, dass du das ehrlich meinest?«
Eine Andeutung der stählernen Härte von früher blitzte in ihren Augen auf. »Es bedeutet, dass ich dieselbe Luft atme wie du und den Mund halte. Es bedeutet, dass ich die Anwesenheit eines Lügners und Mörders in meinem Hause dulde. Das darfst du nicht mit irgendetwas anderem verwechseln. Niemals.« Sie schaute mir lange in die Augen, und dann angelte sie eine Zigarette aus der Packung neben ihr auf dem Tisch. Sie zündete sie mit zitternden Fingern an und verzog den Mund, um den Rauch seitwärts wegzublasen. »Sag deinem Daddy, ich war höflich.«
Ich warf ihr einen letzten Blick zu und ging ins Haus. Dolf kam mir entgegen, und ich deutete mit dem Daumen auf die geschlossene Tür hinter mir. »Janice«, sagte ich.
Er nickte. »Ich glaube, sie hat nicht mehr geschlafen, seit du wieder in der Stadt bist.«
»Sie sieht schlecht aus.«
Er zog eine Braue hoch. »Sie hat den Sohn ihres Mannes des Mordes beschuldigt. Du kannst dir nicht vorstellen, durch welche Hölle die beiden gegangen sind.«
Was er sagte, ließ mich innehalten. In all der Zeit hatte ich mich nicht ein einziges Mal gefragt, was der Prozess für sie als Ehepaar bedeutet haben konnte. Für mich waren sie immer unverändert geblieben.
»Aber dein Vater hat ihr ein Ultimatum gestellt. Er hat ihr gesagt, die Ehe wäre in der größten Gefahr, die sie sich vorstellen könnte, wenn sie dir nicht das Gefühl geben sollte, willkommen zu sein.«
»Ich nehme an, sie hat es versucht«, sagte ich. »Was ist denn da drinnen los?«
»Komm mit.« Ich folgte Dolf durch die Küche ins Wohnzimmer. Mein Vater war da, und bei ihm war ein Mann, den ich noch nie gesehen hatte. Er war etwas über sechzig, hatte weißes Haar und trug einen teuren Anzug. Beide standen auf, als wir hereinkamen. Mein Vater streckte mir die Hand entgegen. Ich zögerte, doch dann nahm ich sie. Er gab sich Mühe. Das musste ich anerkennen.
»Adam«, sagte er, »schön, dass du wieder da bist. Alles okay? Wir waren beim Sheriff, aber da haben wir dich nicht gefunden.«
»Alles okay. Ich war über Nacht bei Grace.«
»Aber sie haben uns gesagt... na, schon gut. Ich bin froh, dass sie dich bei sich hatte. Das ist Parks Templeton, mein Anwalt.«
Wir wechselten einen Händedruck, und er nickte, als sei eine bedeutsame Entscheidung gefallen. »Nett, Sie kennenzulernen, Adam. Es tut mir leid, dass ich gestern Abend nicht rechtzeitig auf dem Revier sein konnte. Ihr Vater hat mich gleich angerufen, als Sie mit Detective Grantham weggefahren waren, allerdings brauche ich von Charlotte hierher eine Stunde, und dann bin ich zum Sheriff's Office gefahren. Ich hatte erwartet, Sie dort zu finden.«
»Sie haben mich ins Salisbury P.D.
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