Der dunkle Fluss
doch nicht ein einziges Mal diskutierten. Er war hier ermordet worden, wo die Familie lebte und atmete, und diese Gefahr allein hätte genügt. Aber da war auch noch Grace.
Und da war ich.
Keiner wusste, was er mit mir anfangen sollte.
Als Janice mich ansprach, war ihre Stimme zu laut, und ihr Blick ging über meine Schulter hinweg. »Also, was hast du jetzt für Pläne, Adam?« Eis klirrte in dem kostbaren Kristallglas, das sie mit weißen Fingerspitzen hielt, und als- unsere Blicke sich schließlich trafen, füllte sich der Raum zwischen uns plötzlich, als verbänden uns zahllose Drähte, die alle gleichzeitig anfingen zu summen.
»Ich habe den Plan, ein Gespräch mit dir zu führen«, sagte ich. Es war nicht meine Absicht, dass es wie eine Herausforderung klang.
Das Lächeln entglitt ihr, und mit ihm verschwand die Farbe aus ihrem Gesicht. Sie wollte meinen Vater ansehen, tat es aber nicht. »Gut«, sagte sie, ihre Stimme kühl und gleichmütig. Sie strich sich den Rock glatt und stand dann auf, als werde sie von einer unsichtbaren Kraft hochgehoben. Sie hielt den Kopf so aufrecht, dass sie einen Stapel Bücher darauf hätte tragen können, selbst als sie sich herunterbeugte, um meinem Vater einen Kuss auf die Wange zu geben. In der Tür drehte sie sich um, und mir war, als sei sie ruhiger als je zuvor. »Wollen wir in den Salon gehen?«
Ich folgte ihr ins kühle Innere des Hauses und durch die langen Diele. Sie öffnete die Tür zum Salon und winkte mich an ihr vorbei hinein. Ich sah Pastellfarben und schwere Stoffe; ein Beutel mit einer unvollendeten Stickerei lag auf einer Couch, die meine Mutter als »Ohnmachtssofa« bezeichnet hätte. Ich ging drei Schritte weit ins Zimmer und drehte mich um, als sie die Tür behutsam schloss. Ihre schmalen Finger spreizten sich auf dem dunklen Holz, dann fuhr sie herum und ohrfeigte mich. Der Schmerz loderte auf wie ein Streichholz.
Ihr Zeigefinger reckte sich zwischen uns empor, auf dem Nagel glänzte der brüchige Lack. »Das ist dafür, dass du deinen Vater veranlasst, mir einen Vortrag über die Bedeutung der Familie zu halten.« Sie stach mit dem Finger in Richtung Veranda. »Und dass du mich in meinem eigenen Hause beleidigst.« Ich öffnete den Mund, aber sie ließ mich nicht zu Wort kommen. »Dass du mich vor meiner eigenen Familie zu einem Gespräch zitierst, als wäre ich ein böses, böses Kind.« Sie ließ die Hand sinken, zerrte am Saum ihrer hellgelben Seidenjacke und zitterte plötzlich. Ihre nächsten Worte wehten herab wie die Blütenblätter einer welken Blume.
»Ich weigere mich, Angst zu haben, und ich lasse mich nicht manipulieren. Nicht von dir, nicht von deinem Vater. Nicht mehr. Und jetzt gehe ich nach oben und lege mich hin. Wenn du deinem Vater erzählst, dass ich dich geschlagen habe, werde ich es abstreiten.«
Die Tür schloss sich mit einem kaum hörbaren Klicken. Ich glaube, ich wäre ihr gefolgt, aber dazu kam ich nicht. Ich hatte den ersten Schritt getan, als das Handy in meiner Tasche vibrierte. Ich sah Robins Nummer auf dem Display. Sie klang atemlos.
»Grantham ist eben mit drei Deputys losgefahren. Sie wollen den Haftbefehl vollstrecken.«
»Sie kommen hierher?«
»Nach meinen Informationen ja.«
»Wann sind sie abgefahren?«
»Vor einer Viertelstunde. Sie müssen jeden Moment da sein.«
Ich atmete tief durch. Es geschah wieder. »Ich bin unterwegs«, sagte Robin.
»Das ist nett von dir, Robin, aber was immer jetzt passiert, wird längst vorbei sein, wenn du hier ankommst.«
»Ist dein Anwalt da?«
»Im Moment noch nicht.«
»Tu mir nur einen Gefallen, Adam.« Ich wartete ab. »Mach keine Dummheiten.«
»Was wäre das zum Beispiel?« Sie schwieg kurz. »Leiste keinen Widerstand.«
»Das habe ich nicht vor.«
»Ich mein's ernst. Bring ihn nicht gegen dich auf.«
»Du lieber Himmel.«
»Okay. Ich bin unterwegs.« Ich klappte das Telefon zusammen. Auf einem kleinen Tisch im Flur klirrte leise eine Vase, als ich vorbeiging. Ich trat hinaus in die unverhoffte Wärme des Sonnenuntergangs und sah, wie Parks Templeton die Treppe heraufkam. Ich deutete auf ihn und dann auf meinen Vater. »Ich muss euch beide drinnen sprechen, sofort.«
»Wo ist deine Mutter?«, fragte mein Vater.
»Stiefmutter«, korrigierte ich automatisch. »Es geht nicht um sie.«
»Worum geht es?«, fragte Parks. Ich blickte mich auf der Veranda um. Alle schauten mich an, und ich begriff, dass es auf Diskretion nicht mehr ankam. Es würde bald
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