Der dunkle Geist des Palio (German Edition)
(chiocciola)
3
Donnerstag, 26. Juli, drei Wochen vor dem Palio
M aria war heiß. Das dünne T-Shirt klebte an ihrem Rücken und unter ihren Armen bildeten sich dunkle feuchte Flecken. Aber das Glühen ihrer Haut hatte nicht ausschließlich mit der Sonne zu tun, die ihre Kraft an dem wolkenlos blauen Himmel voll entfalten konnte. Angelos linke Hand auf ihrem Oberschenkel und seine rechte an ihrer Hüfte trugen nicht unerheblich zu der Wärmewirkung bei.
Sie saß auf seinem Schoß, ihr Gesicht war seinem zugewandt und beide hatten die Augen geschlossen, während sie sich zärtlich küssten. Maria war regelrecht schwindelig von der Intensität ihrer Gefühle, die sie alles um sich herum vergessen ließ: den parkähnlichen Garten, das Zwitschern der Vögel, das Summen der Insekten … Sie bekam nichts davon mit.
Die Zeit spielte ebenso wenig eine Rolle wie der Ort. Es konnten Stunden vergangen sein oder auch nur wenige Minuten, als sie sich von Angelo löste, um wieder zu Atem zu kommen. Sie strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn, griff nach seinen Händen, mit denen er sie erneut an sich ziehen wollte, und hielt sie fest. Sie spielte ein wenig mit dem Ring, den er an seinem rechten Ringfinger trug, und hielt ihren, der genauso aussah, daneben. Es waren auffallend breite Ringe aus Weiß- und Gelbgold mit einem hervorgehobenen abstrakten Muster. Sie lächelte, als sie daran dachte, wie sie die Ringe gemeinsam ausgesucht hatten. Es waren keine klassischen Verlobungsringe, trotzdem wollten sie damit jedem zeigen, dass sie zusammengehörten. Auch schon vor der Hochzeit. Nur der Palio würde sie noch einmal für eine kurze Zeit wenn auch nicht zu Gegnern, so doch zu Konkurrenten machen.
»Steht es eigentlich schon fest, dass du beim Palio für den Drachen reiten wirst?« Jetzt erst wandte Maria den Blick vom Ring ab und sah Angelo an.
Angelo nickte. »Natürlich.«
Maria schüttelte den Kopf. »Das wird meinem Vater nicht gefallen.«
Angelo zuckte mit den Schultern. »Tja …«, murmelte er.
»Nachdem du nun nicht mehr zur Verfügung stehst, wird er wohl versuchen, Fernando zu verpflichten.«
»Fernando ist gut«, bestätigte Angelo. »Leider ist er nicht besonders zuverlässig.«
»Das hängt vom Preis ab, habe ich meinen Vater sagen hören.«
Angelo lachte. »Zumindest erhöht ein anständiger Betrag seine Loyalität, weil es anderen dann schwerer fällt, mitzuhalten.«
»Der Adler hat genug Geld«, antwortete Maria. Sie merkte selbst, dass sie ein wenig trotzig klang, und Angelos Schweigen bestätigte ihr Gefühl. Deswegen war sie auch nicht unglücklich, als ihr Handy in ihrer Hosentasche in diesem Augenblick vibrierte und ihr eine Möglichkeit gab, die Situation zu entschärfen. Nachdem sie einen Blick auf das Display geworfen und die SMS gelesen hatte, lächelte sie erfreut.
»Gute Nachrichten?«, fragte Angelo.
Maria nickte. »Sehr gute sogar«, antwortete sie, während sie eine kurze Antwort tippte und das Handy anschließend wieder einsteckte. »Claudia kommt zum Palio.«
»Ach, wie schön«, sagte Angelo und grinste. »Hoffentlich scheuen die Pferde nicht bei ihrem Anblick.«
Maria knuffte ihn in die Seite. »Hoffentlich stürzen die fantini nicht bei ihrem Anblick«, konterte sie.
»Das könnte natürlich auch passieren«, gab Angelo zu, während er sich das Bild von Marias bester Freundin in Erinnung rief, die mittlerweile in Mailand studierte und deswegen nur selten in Siena war. Er erinnerte sich noch gut an ihre erste Begegnung. Maria hatte ihn nicht im Geringsten vorgewarnt und es war ihm schwergefallen, seine Überraschung über Claudias Aussehen zu verbergen und sie freundlich zu begrüßen. Zwar war er es gewohnt, Frauen zu begegnen, die größer waren als er. Aber selten überragte ihn eine Frau gleich um eine Kopflänge. Und noch seltener trugen diese Frauen dann auch noch selbstbewusst hohe Absätze. Allerdings musste er zugeben, dass Claudias Selbstbewusstsein durchaus gerechtfertigt war: Mit ihrer kupferroten Haarpracht, dem zarten Gesicht, den grünen Katzenaugen und dem feingliedrigen Körper hätte sie Model sein können. Umso angenehmer war er überrascht, als er im Verlauf des gemeinsam verbrachten Abends feststellte, dass diese Frau jede Menge Grips besaß.
»Ich weiß schon, was du denkst«, fuhr Maria neckend fort. »Solange nur Fernando bei Claudias Anblick vom Pferd fällt, kann es dir recht sein, nicht wahr?«
Angelo grinste. Doch dann wurde er
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