Der dunkle Geist des Palio (German Edition)
der besten, aber auch einer der unzuverlässigsten. Man brauchte ihm nur einen Geldschein in die Hand zu drücken und schon flitschte sein Ochsenziemer in die bestellte Richtung.
Wenigstens das war etwas, was er von seinem zukünftigen Schwiegersohn nicht behaupten konnte. Leider, dachte Signore Morelli, denn Angelo hatte, als sein Schwiegervater in spe das Gespräch mit ihm suchte, keinen Zweifel daran gelassen, dass er für Absprachen mit dem capitano dell’ aquila nur begrenzt zur Verfügung stand. Trotz der zukünftigen Verbindungen. Er ritt für den Drachen und damit basta. Klar war, dass der Drache dem Adler nicht schaden würde, aber den Sieg an ihn abtreten? Das würde er ganz gewiss auch nicht – egal, wie viel Geld Morelli Angelo bot.
Gegen seinen Willen musste Marias Vater zugeben, dass ihm Angelos Ehrlichkeit gefiel, obwohl sie ihm im Augenblick nicht gerade zupasskam. Außerdem hatte er die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass Maria es sich vielleicht anders überlegte oder ihm etwas einfiel, womit er sie davon abhalten konnte, diesem »Engel« das Jawort zu geben. Falls er sich jedoch damit abfinden müsste, dass Maria ihr Eheversprechen einlöste, dann hatte er zumindest einen ehrlichen Schwiegersohn. Und wenn er sich Fernando so anschaute, musste er zugeben, dass diese Eigenschaft nicht die schlechteste war.
Ich sehe in der Nacht.
Motto der Eule (civetta)
4
Montag, 26. Juli 1880, drei Wochen vor dem Palio
E va, meine Liebe, sei doch bitte so gut und schaue einmal nach, wie weit Marta mit meinem Bettwärmer ist.«
Eva Maria runzelte die Stirn. Aber nur ganz leicht, damit ihr Vater es ja nicht sah. »Ich bin sicher, dass Marta den Bettwärmer bereits in Euer Schlafgemach gebracht hat, Vater. Ihr wisst doch, dass Marta in diesen Dingen äußerst zuverlässig ist.«
»Sieh doch bitte dennoch nach.«
Eva Maria kannte ihren Vater gut genug, um zu wissen, dass er nur einen Grund suchte, sie aus dem Zimmer zu weisen. Und er wiederum kannte seine Tochter gut genug, um zu wissen, dass sie ihn durchschaut hatte und sich nicht so einfach wegschicken ließ.
Sie sahen einander schweigend in die Augen, bis Lorenzo sich unwohl zu fühlen begann und sich räusperte.
»Also gut, Eva. Ich möchte mit Lorenzo etwas besprechen«, gab Signore Andrea Morelli endlich zu.
»Nur zu«, erwiderte sie. »Ich werde Euch nicht stören.«
Drohend hob ihr Vater eine Augenbraue und sie wusste, dass sie sich auf gefährliches Terrain vorwagte.
»Ich möchte dich nicht damit belasten, meine Liebe, es wäre nicht schicklich, wenn du dir darüber Gedanken machtest.«
»Ich verspreche Euch, Vater, ich werde mir keine unschicklichen Gedanken machen.«
Jetzt war Signore Morelli kurz davor, zu platzen. »Es handelt sich aber um Männergespräche, die nicht für die Ohren einer Frau bestimmt sind.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, was mein Vater und mein Verlobter zu besprechen hätten, das nicht für meine Ohren bestimmt sein sollte«, wagte Eva Maria einen letzten Versuch. Wohl wissend, dass es da eine ganze Menge gab. Angefangen von der Mitgift, die Lorenzo nach der Hochzeit erhalten würde, bis hin zu weitaus brisanteren Themen wie zum Beispiel der Frage nach der Jungfräulichkeit der Braut.
Signore Morellis Faust landete so schwungvoll auf dem Tisch, dass sein Weinglas vibrierte. »Eva«, schrie er, »jetzt reicht es! Tu, was ich sage!«
Ihr Blick suchte den ihres Verlobten. Sie wünschte sich, dass Lorenzo ein Wort für sie einlegte. Aber er starrte nur vor sich hin und ignorierte sie. Fürchtete er sich so sehr vor ihrem Vater? Oder war es ihm am Ende egal?
Eva Maria kämpfte mit den Tränen. In letzter Zeit war sie erstaunlich nah am Wasser gebaut. So kannte sie sich gar nicht. Sie fühlte sich gedemütigt. Aber nachdem nicht einmal Lorenzo zu ihr stand und ihrem Vater die Stirn bot, gab sie nach. Sie erhob sich, ihre Röcke raffend, und versuchte, möglichst würdevoll den Raum zu verlassen. Im Flur jedoch blieb sie stehen und presste ihr Ohr ganz dicht an das Holz der Zimmertür.
»Nun, Lorenzo, in drei Wochen findet der Palio statt.«
Schweigen.
»Ihr wisst, dass ich Euch für Eure reiterischen Fähigkeiten zutiefst bewundere.«
»Das ist sehr freundlich von Euch, Signore Morelli.«
»Das Problem ist, Ihr reitet für die falsche contrada.«
»Bei allem Respekt, Signore Morelli, aber das sehe ich nicht so.«
»Ich denke doch! Immerhin wollt Ihrin einem Monat meine Tochter
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