Der dunkle Geist des Palio (German Edition)
plötzlich ernst. »Fernando ist ein harter Gegner, der nicht so leicht vor was zurückschreckt.«
Auch Marias Lächeln erstarb. »Eben. Deshalb mache ich mir ja Sorgen um dich.«
Angelo war offensichtlich gerührt, als er antwortete: »Das musst du nicht. An mich wird niemand so nah herankommen, dass er mir mit seiner Reitgerte etwas anhaben kann. Etwas anderes als meinen Rücken wird keiner der anderen fantini zu sehen bekommen.«
Maria wich ein Stück zurück und runzelte die Stirn. Sie wusste, dass Angelo eine gesunde Portion Selbstvertrauen besaß, und diese Eigenschaften schätzte sie besonders an ihm. Er scheute sich niemals, zu sagen, was er dachte. Und diese Tatsache gab ihr die Sicherheit, dass sie sich jederzeit auf sein Wort verlassen konnte. Und doch gab es auch die Momente, in denen sie sich über seine Arroganz ärgerte. »Fühl dich mal nicht zu sicher«, antwortete sie deshalb jetzt schnippisch. Sie hatte plötzlich das Gefühl, ihren Vater in Schutz nehmen zu müssen, der nicht weniger von sich und seinem Können als capitano überzeugt war als Angelo von seinen Fähigkeiten als Jockey. »Mein Vater ist wild entschlossen, den Palio in diesem Jahr für den Adler zu holen.«
Angelo spürte Marias Erregung. Und es entging ihm auch nicht, dass sie ihren Vater vor ihm verteidigte. »Und du?«, fragte er deshalb.
Es klang scherzhaft, aber Maria wusste, wie wichtig es ihm war, dass sie auf seiner Seite stand. Sie zuckte mit den Schultern. »Ich bin auch ein Adler, das darfst du nicht vergessen. Aber natürlich wird mein Herz ebenso für dich schlagen.«
»Nur ebenso? «
Maria lachte verlegen und wandte ihr Gesicht ab, um Angelo nicht in die Augen sehen zu müssen. Natürlich hatte sie sich ihre Gedanken darüber gemacht, wie sie damit umgehen sollte, dass ihr zukünftiger Mann für eine andere Contrade antrat. Sie war mit Leib und Seele Adler, dieses Zusammengehörigkeitsgefühl hatte sie bereits mit der Muttermilch aufgesogen. Genauso wie das Gefühl der Rivalität gegenüber anderen Stadtvierteln.
Sie erinnerte sich daran, wie sie als kleines Mädchen einmal mit Claudia und einer weiteren Freundin durch die Straßen Sienas gezogen war, um Geld für das Fest zu Ehren der Madonna zu sammeln. Damals bat sie auch eine ältere Frau um ihre Spende. Doch als die Alte die Blechdose sah, auf die Maria das Wappen des Adlers in Goldgelb und Schwarz gemalt hatte und mit der sie jetzt klimperte, antwortete sie barsch: »Nein, für den Adler gebe ich nichts!« Maria erinnerte sich nur zu gut an das Gefühl, verletzt worden zu sein, und sie wurde immer noch wütend, wenn sie nur daran zurückdachte. Sie war doch noch ein Kind gewesen! Wie konnte eine erwachsene Frau nur so herzlos reagieren! Diese Zurückweisung hatte ihr lange Zeit zu schaffen gemacht und ihren Hass auf die anderen Contraden genährt.
Dabei war sie sich bewusst, dass sie viel häufiger mit Angelo in Streit geraten wäre, wenn er genauso an seinem Viertel gehangen hätte wie sie an ihrem. Zum Glück war dem nicht so. Seine Eltern stammten ursprünglich aus Civitavecchia, einer Stadt in der Nähe von Rom. Und auch wenn sie mittlerweile seit fast dreißig Jahren in Siena lebten und Angelo in der contrada del drago geboren und getauft worden war, so ging man in seiner Familie ein bisschen lockerer mit dem Thema Zusammengehörigkeit und Abgrenzung um als in ihrer eigenen alteingesessenen Familie. Irgendwann hatte Maria beschlossen, es einfach so zu sehen, dass sie zwei Chancen auf den Sieg hatte anstatt einer. Wenn der Adler den Palio gewann, gut. Wenn der Drache gewann, auch gut.
Angelo schaute sie immer noch erwartungsvoll an. Er wartete offensichtlich auf eine Antwort.
»Na ja, du weißt doch, wie das ist …«, murmelte sie ausweichend.
»Nein, weiß ich nicht«, behauptete Angelo augenzwinkernd. »Erklär’s mir …«
Maria schloss die Augen und seufzte tief. Dann legte sie ihren Kopf auf seine Schulter.
Sanft umfasste Angelo ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich. »Der Drache fliegt schneller als der Adler«, scherzte er. »Er wird ihn fangen.«
»Das hat er doch schon«, flüsterte Maria und genoss die zarte Berührung seiner Lippen auf ihren. Sie war ihm unendlich dankbar dafür, dass er ihr mit seiner Reaktion zeigte, dass dies alles kein ernsthaftes Problem für ihn darstellte. Er neckte sie, ja, aber er liebte sie. Ob sie nun ein Adler war oder etwas anderes.
Es war nur ein leises Knacken im Unterholz hinter ihnen. Doch durch
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