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Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Titel: Der dunkle Geist des Palio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Frank
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sitzen. So wie Fernando, der Jockey des Adlers, jetzt ebenfalls neben Signore Morelli saß.
    Marias Blick ruhte für einen Moment auf dem Gesicht ihres Vaters. Er sah angespannt und nervös aus. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass es morgen für ihn um alles oder nichts ging. Würde der Adler nach zwanzig langen Jahren ohne Sieg die Piazza del Campo endlich wieder einmal als Gewinner verlassen?
    Maria sehnte sich nach Angelo. Nach seiner Berührung, nach seinem Geruch, nach seinen Liebesschwüren … Und die Gewissheit, dass sie sich noch viele, viele Stunden würde gedulden müssen, bis sie ihren Verlobten wiedersah, ihn in die Arme nehmen und sich mit ihm versöhnen konnte, besserte ihre Stimmung auch nicht gerade. Ob er in diesem Augenblick ebenso an sie dachte wie sie an ihn?
    »Was habe ich gehört?«, schrie Claudia ihr ins Ohr. »Jemand ist ins Museum eingebrochen?«
    Maria nickte. Überall konnte sie den einzelnen Wortfetzen entnehmen, dass der Einbruch und die Beschädigung des Banners von 1880 das Hauptgesprächsthema des Abends war. Die Spekulationen, wer für dieses Verbrechen verantwortlich sein könnte, trieben die wildesten Blüten. Besonders gern wurden natürlich die Rivalen aus der contrada della pantera beschuldigt. Aber es gab auch einige Stimmen, die sich gegen die Tierschützer erhoben.
    Ungeachtet seiner Abneigung gegen den Palio saß Alessandro im Kreis der jungen Männer. Wenn es etwas zu feiern gab, war ihm der Grund dafür offensichtlich egal. Hauptsache, das Glas war immer randvoll.
    Maria beobachtete ihren Cousin. War er in der vergangenen Nacht ins Museum eingestiegen? Tatsächlich sah er nicht unzufrieden aus. Auf seinen Lippen lag ein stetiges Lächeln. Als freue er sich insgeheim über irgendetwas. Vielleicht über seinen gelungenen Coup. Aber sie war sich nicht sicher, ob das wirklich der Grund für seine Freude war, denn sie bemerkte durchaus, dass Alessandro seine Augen kaum von Claudia abwenden konnte. Und auch ihre Freundin warf ihm mehrmals verstohlene Blicke zu.
    Maria konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie stieß ihre Freundin in die Seite und flüsterte ihr hinter vorgehaltener Hand ins Ohr: »Ihr würdet ein hübsches Paar abgeben!«
    Claudia versuchte zwar, verständnislos auszusehen, doch ihr Seitenblick zu Alessandro verriet, dass sie genau wusste, was Maria meinte.
    Auch Signore Morelli musterte Alessandro auffallend häufig. In seinem Blick lag jedoch wesentlich weniger Wohlwollen. Maria konnte förmlich sehen, wie es hinter der Stirn ihres Vaters arbeitete.
    Aber nicht nur sie betrachtete die Leute um sich herum. Plötzlich spürte sie ganz deutlich, dass sie ebenfalls beobachtet wurde. Und als sie sich umschaute, trafen sich ihre Augen mit denen von Antonia, die an der langen Tafel hinter ihr saß. Schuldbewusst senkte Antonia hastig den Blick.
    Unwillig runzelte Maria die Stirn. Wieso getraute sich Antonia nicht, ihr in die Augen zu blicken? Hatte sie so ein schlechtes Gewissen? Wusste sie, dass sie die beiden, Antonia und Angelo, beobachtet hatte? Und wenn ja, woher? Hatte Angelo etwa mit ihr darüber gesprochen?
    Bei diesem Gedanken fühlte Maria eine Welle der Scham und der Wut über sich hinwegschwappen. Scham darüber, eventuell entdeckt worden zu sein, und Wut darüber, dass Angelo dem Dienstmädchen ihre Gefühle verriet.
    »Wenn ihr mich fragt, dann war es eine Nachricht aus dem Jenseits …«
    Maria wandte sich ruckartig um. Ihr gegenüber saß Chiara, die sie noch aus der Grundschulzeit kannte. Chiara hatte in der scuola primaria sogar eine Weile neben ihr gesessen und war schon damals etwas sonderbar gewesen.
    Normalerweise hätte Maria jetzt wie Claudia und die anderen Mädchen gelacht und einen Witz über Geister gemacht. Doch diesmal war ihr nicht nach Lachen zumute.
    »Was gibt es denn da zu lachen?«, empörte sich nun auch Chiara. »Was wisst ihr denn, wie viele fantini im Laufe der Jahre beim Palio zu Tode kamen!«
    »Ja klar!«, ereiferte sich Claudia. »Und einen davon treibt seine ruhelose Seele um.«
    »Mitten hinein ins Museum«, ergänzte eine andere junge Frau.
    Claudia stieß Maria um Zustimmung heischend in die Seite und lachte.
    Nur mühsam rang Maria sich ein Lächeln ab; in ihrem Inneren betrachtete sie Chiara auf einmal mit ganz anderen Augen: Vielleicht war ihre alte Klassenkameradin gar nicht so verrückt, wie alle glaubten. Vielleicht hatte sie diesmal ausnahmsweise recht. Auch wenn es nicht der Geist eines Jockeys war, der

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