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Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Titel: Der dunkle Geist des Palio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Frank
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mit einer Frage zu ihrer Kleiderwahl für das Festbankett am Abend zu schicken, beschloss sie, dass endlich Schluss sein musste. Schließlich war die Mailbox ihres Verlobten kein Mädchentagebuch. Aber war Angelo überhaupt noch ihr Verlobter? Vielleicht hatte er sich schon längst dafür entschieden, noch eine Weile Junggeselle zu bleiben und nach Herzenslust mit wohlgeformten Blondinen zu flirten, ohne jemandem darüber Rechenschaft ablegen zu müssen. Sollte sie Angelo per SMS einfach danach fragen?
    »Jetzt reicht es aber, Maria!«, schalt sie sich selbst und entschied sich für das knielange, schlichte schwarze Sommerkleid mit dem tiefen Dekolleté und den kleinen gelben Blumen am Saum. Das würde hervorragend zu ihrem fazzoletto mit dem Wappen des Adlers auf gelbem Grund passen, das zur Pflichtgarderobe für diesen Abend gehörte.
    Trotz allem freute sie sich auf das Fest, auf dem sie nach langer Zeit auch ihre Freundin Claudia wiedersehen würde. Zwar hatten sie heute endlich miteinander telefoniert, um sich zu verabreden, aber sie hatte Claudia immer noch nichts von all dem erzählt, was sie zurzeit beschäftigte und bedrückte. Gewiss ergab sich am Abend eine Gelegenheit, darüber zu reden.
     
    Claudia war noch genau so schön, wie Maria sie in Erinnerung hatte. Trotz ihrer Größe von fast einem Meter achtzig trug sie selbstbewusst Schuhe mit hohen Absätzen und Maria fühlte sich neben ihrer Freundin wie ein hässlicher Gartenzwerg. Ihr langes kupferrotes Haar floss in sanften Wellen über die Schultern und umrahmte das fein geschnittene Gesicht mit den grünen Katzenaugen, der zierlichen kleinen Nase, den vollen roten Lippen und den hohen Wangenknochen. Jeder, der sie sah, hielt sie für ein Topmodel. Dabei war Claudia zutiefst bodenständig und nahm ihre Schönheit als etwas Selbstverständliches hin. Eine Charaktereigenschaft, die Maria besonders an ihr gefiel. Vielleicht auch deshalb, weil sie selbst kein so entspanntes Verhältnis zu ihrem Äußeren hatte.
    Als Claudia jetzt mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen durch die Reihen festlich geschmückter Tische auf Maria zukam, wandten sich alle Köpfe nach ihrer auffallenden Erscheinung um und die Gesänge verstummten für einen Augenblick, nur um in der nächsten Sekunde mit noch mehr Inbrunst fortgeführt zu werden.
    Hunderte, vielleicht sogar mehr als tausend Menschen saßen nach der prova generale, der Generalprobe, unter freiem Himmel an langen Tischen. Die Gassen und Plätze waren festlich erleuchtet und erstrahlten in feierlichem Licht.
    Und immer noch mehr Menschen strömten nun von der Piazza del Campo herbei, nachdem sie den berittenen carabiniere in ihren Kostümen zugeschaut hatten, die den Platz zweimal umrundeten und dabei allerlei Figuren vollführten, bevor sie mit gezogenem Schwert und in gestrecktem Galopp die Bahn unter Böllerschüssen verließen und den Platz freimachten für das nächste Proberennen der fantini und ihrer Pferde.
    Immer und immer wieder stimmten die Feiernden an den langen Tischen die Hymne des Adlers an, hoben ihre Gläser und prosteten einander zu. Einem ungeschriebenen Gesetz gehorchend, saßen die jungen Mädchen an einem Tisch und die jungen Männer an einem anderen, genauso wie die alten Frauen und die alten Männer.
    Maria und Claudia suchten sich zwei freie Plätze an dem langen Tisch der unverheirateten jungen Frauen, hier und da begrüßt von alten Klassenkameradinnen, Nachbarn und Freunden aus Kindestagen.
    Leider gestaltete sich die Unterhaltung nicht so einfach, wie Maria gehofft hatte. Um sich zu verständigen, musste man brüllen. Dann aber lief man Gefahr, nicht nur von der Person verstanden zu werden, von der man verstanden werden wollte, sondern ebenso vom Rest der Einwohner des Stadtviertels. Das war unproblematisch, solange man sich nur über die letzte Shoppingtour austauschen wollte – und unmöglich, wenn es bei dem Gespräch um geisterhafte Erscheinungen und Liebeskummer ging. Deshalb ergab sich Maria vorläufig in ihr Schicksal und ihre Liebe zu aquila und sang aus voller Brust mit:
     
    »Der Sieg des Adlers ist sicher,
    weil er Flügel hat …
    Unser Vogel ist der größte in der Welt.
    Keiner kann sich mit ihm messen.
    Er kämpft mit seinem Schnabel
    und zwingt seine Gegner in den Staub.
    Der Himmel über Aquila ist gelb und schwarz.«
     
    Dabei stellte sie sich vor, wie Angelo jetzt in der Contrade des Drachen am Festbankett teilnahm. Er würde am Ehrentisch neben dem capitano

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