Der dunkle Grenzbezirk
der Lage waren, Groom die Informationen zu liefern, die er brauchte, dann vergrößerten sich seine eigenen Schwierigkeiten beträchtlich. Dann war es schwerer als je, die Herstellung der Kassenschen Bombe auf die Dauer zu verhindern. Er konnte Grooms Pläne wahrscheinlich durchkreuzen, indem er jede der ihm vorgelegten Unterlagen als völlig wertlos bezeichnete; damit würde er bloß Zeit gewinnen, aber nichts Wesentliches erreichen. Seine Gedanken umkreisten das Problem immer wieder, aber er kam zu keiner Lösung.
Groom legte mit einem zufriedenen Seufzer Messer und Gabel nieder.
»Ich weiß nicht«, sagte er, »ob es Ihnen bekannt ist, daß sich Zovgorod eines Opernhauses rühmt. Heute abend wird die Zauberflöte gegeben. Ich habe den Oberkellner beauftragt, zwei Karten reservieren zu lassen. Wenn Sie Mozart lieben, sind Sie herzlich eingeladen. Wir nehmen Sperrsitz. Abendanzug ist nicht erforderlich.«
Carruthers nahm mit Freude an. Eine halbe Stunde später setzten sie sich in ein Taxi.
Der Chauffeur wollte eben losfahren, als Groom ihm ein Zeichen gab zu warten. Entschuldigend wandte er sich zu Carruthers.
»Es tut mir leid, Professor, daß wir zu spät kommen werden, aber ich möchte meine › Leibwächter‹ nicht verlieren.«
Kichernd zeigte er Carruthers zwei Männer, die wenige Meter von ihnen entfernt auf dem Trottoir standen und heftig gestikulierten, um ein vorüberfahrendes Taxi auf sich aufmerksam zu machen.
Carruthers wandte sich an Groom.
»Cator & Bliss?« fragte er spaßhaft.
»Nein, unsere Freundin, die Gräfin«, war die ernste Antwort. »Sie geht kein Risiko ein. Sie werden sie schon noch kennenlernen.«
Als er sah, daß die »Leibwächter« ein Taxi gefunden hatten, gab er dem Chauffeur ein Zeichen. Sie fuhren los.
Als sie im Opernhaus ankamen, war der erste Akt schon fast vorbei. In der Pause lenkte Groom Carruthers Aufmerksamkeit auf die Loge der Gräfin Schverzinsky. Neben ihr saß ein Mann in einer mit Orden übersäten Uniform. Sie selbst trug einen Traum von einem Kleid. Carruthers starrte voll Bewunderung zu ihr hinauf, fasziniert von ihrer Schönheit und Anmut, und er sah, wie sie einige Besucher in ihrer Loge empfing. Es fiel ihm ziemlich schwer, sie, wenn auch nur indirekt, mit dem Mord an Rovzidsky in Verbindung zu bringen.
Ihr Begleiter in der Loge war, so erfuhr er, ihr Bruder, Prinz Ladislaus. Ein wohlwollend blickender älterer Herr in der Loge nebenan, der nur einen einzigen Orden auf der Hemdenbrust hatte, küßte ihr über die Trennwand hinweg die Hand. Der Staatspräsident, flüsterte Groom. Carruthers bemerkte außen an seiner Loge das Wappen Ixaniens. Ein unbedeutender kleiner Mann mit einem Monokel stellte sich als der Innenminister heraus. Er war, wie Groom erläuterte, der Sohn eines Cafébesitzers, was zweifellos der Grund dafür war, daß er ein Monokel, das Zeichen der Offizierskaste, trug.
Das Geschwätz der Theaterbesucher verstummte, als die Lichter langsam ausgingen. Der Dirigent hob den Taktstock. Es herrschte Stille. Dann ertönte wieder Mozarts Musik.
Diese Musik tönte noch Tage nachher in Carruthers Ohren, durchströmte seinen Geist und untermalte leise seine Gedanken und führte sie, wie die Uferdämme eines Flusses das Hochwasser bis zum Meer begleiten. Als die Oper zu Ende war, saß er ruhig da, während heftiger Applaus die Stille zerriß. Ruhige Zuversicht hatte ihn plötzlich erfüllt. Ihm war, als wäre ihm eine neue Lebensspanne gewährt worden. Aber irgendwo in seinem Gehirn formten sich Worte, ergaben einen Moment lang einen Sinn und verschwanden dann wieder, aber in diesem Moment erkannte er einen Schein von Wahrheit. Die Tage des Mannes, der sich Conway Carruthers nannte, waren gezählt, und er mußte bald sterben. Leise flüsterte er vor sich hin: »Ich muß mich beeilen.«
Die Sänger kamen für den letzten Vorhang auf die Bühne. Blumensträuße wurden zu ihnen hinaufgereicht. Dann wurde der Applaus schwächer. Nur noch einzelne Bravorufe ertönten. Der Dirigent erhob den Taktstock. Ein Trommelwirbel erscholl. Die Anwesenden erhoben sich von ihren Sitzen. Der erste Akkord der ixanischen Nationalhymne zerriß triumphierend das ehrfurchtsvolle Schweigen. In diesem Moment flackerten alle Lichter im Opernhaus, und dann war es stockdunkel.
8. Kapitel
9. Mai
Carruthers erwachte am folgenden Tag sehr früh. Während er im Bett lag und die Morgensonne betrachtete, die schon durchs Fenster schien, vergegenwärtigte er sich noch
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