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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
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einmal den gestrigen Vorfall im Theater. Das Bild Grooms, der sich wie ein Verrückter einen Weg zum Ausgang erkämpfte, die erschreckten Gesichter der Opernbesucher, alles, was er im Licht eines hastig angezündeten Streichholzes hatte wahrnehmen können. Was ihn aber beschäftigte, war nicht so sehr die Panik als der Anlaß dafür, der Stromausfall. Er empfand ein unerklärliches Bedürfnis, der Sache auf den Grund zu gehen. Das plötzliche Aufflackern des Lichts, bevor es ausgegangen war, war merkwürdig. Wenn eine Sicherung durchbrennt, geht das Licht ohne zu flackern sofort aus.
    Er klingelte nach dem Kellner. Es war ein Schweizer, der französisch sprach. Aus dem Mann sollte doch etwas herauszukriegen sein.
    Der Kellner kam, und Carruthers bestellte das Frühstück, und als er gehen wollte, rief er ihn zurück.
    »Haben Sie vom Stromausfall gestern abend in der Oper gehört?«
    »Oh ja, Monsieur, eine schreckliche Sache.«
    »Ist das früher schon mal vorgekommen?«
    »Nein, Monsieur.«
    »Gibt es häufig Strompannen in Zovgorod?«
    »Nein, Monsieur. Ich erinnere mich bloß an eine. Aber das war in der Nacht. Ich konnte nicht schlafen und knipste das Licht an, um zu lesen. Plötzlich ging es aus, aber der Stromausfall dauerte nur zehn Minuten. Auf die Elektrizität kann man sich hier verlassen. Schweizer Qualität.«
    »Wann passierte es das letzte Mal?«
    »Etwa vor zwei Monaten, Monsieur. Ich kann mich nicht ganz genau erinnern, weil meine Frau damals gerade ein Baby bekommen hat.«
    Carruthers machte ein nachdenkliches Gesicht, und der Kellner beeilte sich, ihn zu beruhigen.
    »Kein Grund zur Besorgnis, Monsieur. Es wird nicht mehr vorkommen.« Er wurde gesprächig. Es war kein Zweifel, daß nur die Dummheit der Ixanier an diesem Stromausfall schuld war. Schweizer Ingenieure gehörten ja zu den besten. Aber diese Schweine von Eingeborenen …
    Plötzlich hatte Carruthers einen Einfall, einen seltsamen, ja fantastischen Einfall. Aber möglich wäre es ja. Er winkte den verblüfften Kellner hinaus, sprang aus dem Bett und verschwand im Badezimmer.
    Als das Frühstück kam, war er schon fast angezogen, und zehn Minuten später hatte er gefrühstückt und war zum Ausgehen bereit.
    Als er seine Brieftasche einsteckte, trafen seine Finger auf ein Blatt Papier. Er zog es heraus. Es war das Manifest der Fortschrittlichen Bauernpartei. Ohne sich etwas dabei zu denken, steckte er es rasch wieder ein und verließ das Hotel.
    Das erste, was er brauchte, war eine Zeitung.
    Der Stromausfall der vergangenen Nacht wurde zwar in ein paar Zeilen erwähnt, die aber hauptsächlich die Namen der Prominenten enthielten, die, wie etwas übertrieben behauptet wurde, das Opfer der »Untat der Schweizer« geworden waren. Es war genau das, was er wissen wollte.
    Er rief sich ein Taxi und ließ sich zur Nationalbibliothek fahren. Dort verlangte er die Encyclopaedia Universalia . Der Bibliothekar war stolz darauf, dieses internationale Nachschlagewerk zu besitzen, und noch dazu in einer englischen Ausgabe.
    Die Kurzbiographie Professor Barstows, die ihm Casey im Café in ironischem Ton vorgelesen hatte, sagte ihm, wo er nachschlagen mußte: ›Atome, Struktur der‹.
    Es war ein Absatz, der fast drei Spalten in der Sechspunktschrift der Encyclopädie umfaßte. Carruthers las ihn ganz genau. Überraschenderweise war der Text sehr leicht zu verstehen, und er wußte bald, was er wissen wollte. Hier stand in Professor Barstows klarer Prosa genau das, was er dunkel geahnt hatte:
     
    Wie gezeigt wurde, kann unter diesen Umständen eine Änderung der Atomstruktur bewirkt werden. In einem kürzlich durchgeführten Experiment wurde eine Ladung mit einer Spannung von eineinhalb Millionen Volt in einer Reihe von Kondensatoren mit Öl-Dielektrikum aufgebaut. Bereits bei einer verhältnismäßig niedrigen Spannung trat Ionisation der Luft in der Nachbarschaft der Elektroden auf, und es bereitete Schwierigkeiten …
     
    Carruthers knallte das Buch zu und verließ die Bibliothek.
    Als nächstes kaufte er sich eine Panoramakarte von Zovgorod und Umgebung. Damit zog er sich in eine öffentliche Anlage zurück, um sie ungestört studieren zu können. Er fand einen ruhigen Platz. Kaum hatte er sich hingesetzt, als ihm ein Mann auffiel, der ganz in der Nähe auf einer Bank saß, und dessen Gesicht ihm irgendwie bekannt vorkam. Dann erinnerte er sich. Es war einer der Männer, die ihm Groom gestern gezeigt hatte, einer der › Leibwächter‹.

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