Der dunkle Grenzbezirk
Psychologie der Masse ist die Psychologie eines Kindes, und es ist Ihnen drum sicher auch schon aufgefallen, daß die meisten erfolgreichen Politiker etwas Kindliches an sich haben. Sie spiegeln das Bewußtsein der Masse wider.« Er machte eine Pause, strich sich übers Kinn und lächelte leicht zu Carruthers hinüber. »Nun gut, Professor«, fuhr er fort, »spielen Sie uns Kindern den Erwachsenen vor. Werfen Sie das Messer schnell in den Fluß, damit wir uns oder andere Kinder nicht damit verletzen.« Er wandte sich an den Mann in der Ecke und wechselte einige Worte auf ixanisch mit ihm. Dann drehte er sich zu mir.
»Sie und der Professor haben sich in dieser Sache vorzüglich verhalten. Die Fortschrittliche Bauernpartei schätzt Ihre Bemühungen sehr. Und wir heißen Sie, Mr. Casey, als Vertreter der Amerikanischen Presse ganz besonders willkommen. Sie können, wenn Sie wollen, für uns von unschätzbarem Wert sein. Wir sind nämlich drauf und dran, nach der Macht zu greifen.«
»Eine Revolution?«
»Eine Revolution, wenn Sie so wollen. Es ist höchste Zeit. Sie können sich hier in der Stadt keine Vorstellung machen von der Misere der Bauern auf dem Lande. Sie können es mir glauben, ihre Lage ist schrecklich. Die Regierung, die momentan am Ruder ist, kennen Sie ja. Die Abgeordnetenkammer wurde seit Jahren nicht mehr einberufen. Das sind Zustände, die jeder Demokratie Hohn sprechen. Ich will Sie nicht langweilen mit der Aufzählung der wirtschaftlichen Fehler dieser Republik, die so vielversprechend begann und so wenig gehalten hat. Die Gräfin Schverzinsky überblickt die Situation völlig, denn sie ist eine gescheite Person, aber ihr politisches Credo basiert auf angeborenen Instinkten und persönlichem Ehrgeiz. Was sie will, ist Macht und Ruhm für Ixanien. Die Bauern wollen nichts anderes als etwas zu essen für ihren Bauch. Eine neue Ordnung ist schon lange überfällig.«
»Glauben Sie, daß Sie Erfolg haben?«
»Ich glaube es. Momentan habe ich große Schwierigkeiten mit einem Teil der Partei, der für den Mord an Andrassin blutige Rache nehmen will. Wir hatten heute morgen eine stürmische Sitzung. Es wäre fatal, wenn wir vorschnell handeln würden. Wir sind aber nicht müßig und organisieren die Bauern. Es ist nur noch eine Frage von Tagen, und wir sind für den Coup bereit, der mit dem Marsch der Bauern auf Zovgorod zusammenfallen muß. Ich glaube, daß unser Überraschungscoup glücklich wird. Es ist uns gelungen, unsere Pläne geheimzuhalten. Außer den Parteiführern kennt sie niemand, und denen kann man vertrauen, denn es sind durchweg Ehrenmänner und alle haben das Messer im Rücken. Was uns vorläufig noch hindert, ist die Armee. Zwar sympathisieren viele der Soldaten mit uns, da sie ja selber aus dem Bauernstand kommen. Aber wir können uns noch nicht auf sie verlassen. Wenn ihre Offiziere ihnen befehlen zu schießen, werden sie höchstwahrscheinlich gehorchen. Ein Mann in Uniform verliert die Fähigkeit, selbständig zu denken. Die …«
»Einen Moment, Monsieur.«
Wir wandten uns Carruthers zu. Seine Unterbrechung machte mich ungeduldig.
»Monsieur?« fragte Tumachin höflich.
»Wie stark ist das Heer?«
»20000 Mann.«
»Wo sind sie einquartiert?«
Tumachin sagte es ihm.
Carruthers sog an seiner Pfeife. »Ich nehme an, Monsieur, daß die Armee der amtierenden Regierung Gehorsam schuldet?«
»Ja, Monsieur.«
»Wenn man also die Armee in einen entlegenen Winkel des Landes beordern würde, während der Putsch und der Marsch auf Zovgorod stattfinden, dann könnte sich die neue Regierung etablieren, von der Arme Gehorsam und Treue verlangen und ihr die Rückkehr befehlen, nicht wahr? In einem solchen Fall würde alles streng im Rahmen der Legalität vor sich gehen?«
Der Mann in der Ecke stieß in höchster Erregung ein paar Sätze hervor. Tumachin hörte ihm zu, hob dann die Hand und bat um Schweigen. Dann wandte er sich zu Carruthers.
»Wie würden Sie denn die Truppenverlegung durchführen?«
Carruthers rückte seinen Stuhl an den Tisch heran, erbat sich eine Landkarte von Ixanien und dozierte dann ungefähr zehn Minuten. Der Mann in der Ecke lehnte sich über seine Schulter und drückte begeistert seine Zustimmung aus.
Als Carruthers geendet hatte, lehnte sich Tumachin in seinem Stuhl zurück und strich sich übers Kinn. Ganze fünfzehn Minuten saß er so, tief in Gedanken versunken, da, während seine Hand immer wieder über sein Kinn strich und er mehrmals seine hohe
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