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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
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Stirn runzelte. Wir warteten. Endlich setzte er sich gerade hin und schaute mich an.
    »Wer ist dieser Mann, Monsieur Casey?«
    »Professor Barstow«, sagte ich und errötete.
    Er schenkte mir eines seiner seltenen Lächeln und schüttelte den Kopf. Dann stand er auf, und als er wieder sprach, war seine Stimme mindestens zwei Oktaven tiefer.
    »Nein«, beteuerte er im Brustton tiefster Überzeugung, »dieser Mann ist vom Schicksal gesandt. Sie haben mir den Retter Ixaniens gebracht.«
    Er wandte sich zu Carruthers, umarmte ihn und küßte ihn geräuschvoll auf beide Wangen.
    Es dauerte einige Zeit, bevor Carruthers mit erstickter Stimme erklären konnte, daß nur der Tabak an seinem Schniefen schuld war.

13. Kapitel
    11. bis 21. Mai
     
    Erst gegen Abend verließen wir Tumachins Wohnung. Umfangreiche Vorkehrungen wurden getroffen, damit wir das Haus unbeobachtet verlassen konnten.
    Viel war geschehen. Carruthers sollte noch in derselben Nacht in ein leeres Zimmer des Hauses Sa’ Maria Prospek 11 ziehen und sich dort versteckt halten. Ich sollte meine relative Immunität dazu verwenden, um Tumachin, Beker, dem düstern, stellvertretenden Kommandeur, der uns eingelassen hatte, und anderen flüchtigen Mitgliedern der Fortschrittlichen Bauernpartei, die sich in diesem Stadtteil versteckt hielten, als Übermittler von wichtigen Nachrichten zu dienen. Am Tag des Putsches aber sollte ich, wie Tumachin meinte, in den Sa’ Maria Prospek 11 übersiedeln, was mir sehr zu paß kam. Ging die Geschichte gut aus und ich überlebte, so hatte ich eine tolle Reportage: »Ich stand im Kugelregen. Bericht von der Ixanischen Revolution.« Ging sie schlecht aus, dann war sowieso alles aus. Tumachin hatte auch beschlossen, Groom auch nicht einen Moment aus den Augen zu lassen, und Carruthers’ Plan mußte in die Tat umgesetzt werden.
    Es braucht wohl nicht erst betont zu werden, daß ich sehr daran zweifelte, daß er sich verwirklichen lassen würde. Es hätte mir zu denken geben müssen, daß ein so kühler Kopf wie Tumachin hell von ihm begeistert war. Aber ich konnte mich nicht von dem Vorurteil lösen, daß Tumachin, obschon er sicherlich außergewöhnlich begabt war, eben ein Revolutionär war, und Revolutionäre sind ja bekanntlich nicht immer sehr erfolgreich.
    Als wir auf ein Café zuschlenderten, fragte mich Carruthers, wie ich die Chancen beurteile.
    »Halb und halb«, antwortete ich diplomatisch, »aber die größte Gefahr droht Tumachin von seinen eigenen Leuten. Sie haben ja gehört, wie er gesagt hat, daß sie Repressalien ergreifen und den Mord an Andrassin blutig rächen wollen, und zwar sofort.
    Beker hat mir berichtet, daß es zwei gegensätzliche Meinungen zu diesem Problem gebe. Die einen wollen den Präsidenten ermorden, während die anderen nichts Geringeres wollen, als gleich den Kuderdamm in die Luft zu sprengen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu richten.«
    Carruthers blieb wie angewurzelt stehen.
    »Was ist los?«
    »Ich hatte gerade eine Idee.«
    »Eine gute?«
    »Das werden wir dann sehen.«
    Schweigend gingen wir weiter, in ein Café in der Nähe der Kathedrale.
    Ich bestellte einen Horses Neck, aber rechtzeitig fiel mir noch ein, was sie in Zovgorod als Gin verkaufen, und so machte ich die Bestellung rückgängig und nahm mit einem kleinen Bier vorlieb. Carruthers genoß seinen unvermeidlichen süßen schwarzen Kaffee, schaute in die Ferne und grunzte geistesabwesend, wenn ich ihn etwas fragte. Schließlich gab ich es auf und hing meinen eigenen Gedanken nach. Ich vergegenwärtigte mir die jüngsten Revolutionen und geriet dadurch in einen so depressiven Zustand, daß ich schon beinahe an Selbstmord dachte. Carruthers, der aus seiner Trance erwacht war, schreckte mich plötzlich auf.
    »Was halten Sie eigentlich von Tumachin?«
    Die Frage überraschte mich. Ich gab ihm knapp meine Eindrücke von dem Mann wieder, merkte aber bald, daß er mir gar nicht zuhörte. Er schien einen Gedanken zu verfolgen. Ich wartete.
    »Ganz schön scharfsinniger Menschenkenner, würde ich sagen«, meinte er nach einer Weile.
    »Muß er sein.«
    »Mein Vorschlag scheint ihm imponiert zu haben.« Es war eher eine Frage als eine Feststellung.
    »Kunststück! Er ist ja auch genial!«
    Er schüttelte mißbilligend seinen Kopf. Meine Verwirrung stieg. Ich schaute ihn neugierig an. Er spielte mit seiner leeren Kaffeetasse und blickte ins Leere. Irgendetwas an seinem Gebaren erinnerte mich an irgendetwas – aber an was? Plötzlich

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