Der dunkle Grenzbezirk
nicht.«
»Sie lügen«, sagte er in kaltem Ton. »Wo sind die Papiere, die Sie gestern nacht gestohlen haben?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«
»Wer sind Sie?«
Ich sagte es ihm.
»Sie sind ein Narr, Mr. Casey. Damit Sie sich keinen Illusionen hingeben, möchte ich Ihnen das folgende sagen: Wenn Sie mir nicht erzählen, was Sie mit den Papieren gemacht haben, sind Sie in fünf Minuten ein toter Mann.«
Sein frisches rotes Gesicht verlor nichts von seiner Jovialität, während er diese Drohung äußerte. Er lächelte nicht gerade freundlich, aber er lächelte. Nur das schwache Zucken der Mundwinkel und das tödliche Starren der Augen verrieten mir, daß er es todernst meinte. Es überlief mich eiskalt.
»Wenn ich Ihnen doch sage«, stieß ich hervor, »daß ich Ihre verdammten Papiere nicht habe. Sie wurden wieder in den Safe zurückgelegt.«
»Dann geben Sie mir bitte die Kopien, Mr. Casey.«
»Es gibt keine Kopien.«
Er schüttelte ungeduldig den Kopf und seine fleischigen Wangen zitterten in grotesker Weise. »Bluffen hilft nichts, Mr. Casey«, fuhr er fort, und seine Stimme war plötzlich seltsam belegt. »Ich zähle jetzt auf fünf«, sagte er plötzlich auf französisch. »Wenn Sie es mir bis dahin nicht sagen, weiß ich wenigstens eins: Entweder Sie wissen wirklich nichts, oder Sie sind ein Narr. In jedem Fall wird Nikolai Sie erschießen. Hast du verstanden, Nikolai?«
Die feuchten Lippen des Griechen öffneten sich etwas und entblößten das Zahnfleisch. Die Mündung des Schalldämpfers senkte sich langsam, bis er auf meinen Magen zielte. Groom warf einen Seitenblick zu Nikolai.
»Nein, Nikolai, nicht auf den Magen. Da schreit er, und das könnte man hören.«
Nikolai zielte etwas höher.
»Un« , zählte Groom.
»Man wird Sie erwischen.«
»Deux.«
»In Ixanien werden Mörder gehängt, das wissen Sie doch?«
»Trois.«
Ich sagte nichts mehr.
»Quatre.«
Er wartete etwas. Ich sah, wie Nikolai den Unterarm anspannte, um den Rückstoß aufzufangen. Ich biß mir auf die Lippen, damit sie weniger zitterten. Dann machte es klick, und es war dunkel.
Ich warf mich zur Seite, sah das Mündungsfeuer und hörte den dumpfen Ton eines Schusses mit Schalldämpfer. Ich blieb am Boden liegen. Ich hörte die Geräusche eines Kampfes, dann einen Schmerzensschrei, und dann ging das Licht wieder an. Mit dem Rücken zur Tür, eine automatische Pistole in der Hand, stand Carruthers. Ihm gegenüber standen Groom und Nikolai, der seinen verletzten Arm hielt. Ich rappelte mich hoch.
»Sehen Sie nach, ob Groom eine Waffe hat«, sagte Carruthers barsch.
Ich fand in Grooms Brusttasche eine kleine belgische sechsschüssige automatische Pistole. Nikolai stieß einen Schmerzensschrei aus, als ich seinen Arm berührte, aber ich kümmerte mich nicht darum. Er hatte nur die leere Pistolentasche unterm Arm, aber in seiner Brieftasche fand ich 20 Pfund in englischen Banknoten, die ich ihm abnahm. Carruthers ließ die beiden nicht aus den Augen.
»Sein Revolver liegt hinter ihm auf dem Boden«, sagte er. »Stecken Sie ihn ein.«
Ich tat wie geheißen. Carruthers lächelte Groom an, der ihn ungläubig anstarrte.
»Ich finde Ihr Benehmen etwas seltsam, Professor«, bemerkte er endlich. Er zeigte auf Nikolai, der von panischer Angst erfaßt schien. »Dieser Herr und ich ertappten diesen Mann« – er nickte in meine Richtung – »wie er in Ihr Zimmer einbrach.«
»Ich habe ihn darum gebeten«, antwortete Carruthers grimmig.
»Ach so«, meinte Groom, »in diesem Fall ist die Sache ja erledigt.« Er ging auf die Tür zu.
»Bleiben Sie stehen«, befahl ihm Carruthers scharf.
Groom blieb stehen. »Aber sicher doch«, sagte er freundlich. »Nur tun Sie mir bitte einen Gefallen und richten Sie die Pistole anderswohin. Diese Dinger gehen so leicht los, wenn man mit ihnen nicht umgehen kann.«
»Dann haben Sie eben Pech gehabt, Mr. Groom.«
Mr. Grooms Lippen verzogen sich zu einem echten Lächeln.
»Wissen Sie, Professor«, sagte er dann langsam, »mir scheint, ich werde alt. Das ist jetzt schon das zweite Mal, daß ich mich in Ihnen irre.« Ein plötzlicher Einfall schien ihm gekommen zu sein. »Nicht wahr, Sie sind doch … äh … Professor Barstow?«
Carruthers grinste über das ganze Gesicht. Grooms Augen wurden hart.
»Ich werde mich kein drittes Mal irren«, sagte er dann.
»Ganz bestimmt nicht«, bemerkte Carruthers kalt. »Ich werde Sie nämlich erschießen. Geben Sie mir bitte den Revolver, den
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