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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
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Sie aufgelesen haben, Casey, den mit dem Schalldämpfer.«
    »Aber …«, fing ich an.
    »Geben Sie schon her. Aber schauen Sie zuerst nach, ob er geladen ist.«
    Er war geladen, und ich reichte ihn Carruthers, der ihn auf Groom richtete. Ich schaute Groom an. Er war völlig verändert. Alle Jovialität war aus dem Gesicht gewichen, und das frische Rot hatte sich in schmutziges Grau verwandelt. Die vollen Backen waren eingefallen. Die Unterlippe zitterte, als versuche er, etwas zu formulieren. Plötzlich drehte er sich weg, röchelte, würgte und erbrach sich. Carruthers schaute ihn einen Moment lang an und zielte dann erneut. Nikolai fiel auf die Knie. Ich wandte mich ab, aber es fiel kein Schuß. Ich spürte, wie jemand meinen Arm berührte.
    »Los, machen wir, daß wir hier wegkommen«, sagte Carruthers.
    Ich fühlte mich recht schwach auf den Beinen. Wir kamen auf die Straße, ohne einer Menschenseele zu begegnen.
    »Wie sind Sie denn reingekommen, wenn ich den Schlüssel in der Tasche habe?« fragte ich.
    »Ich habe den Passepartout aus dem Büro des Nachtportiers genommen. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß er nie auf seinem Posten ist, wenn er Dienst hat.«
    Ich sagte nichts. Wir gingen weiter durch die Nacht. Unsere Schritte hallten auf dem leeren Straßenpflaster wider. Nach einer Weile sagte ich:
    »Da habe ich ja Glück gehabt, daß Sie erraten haben, was geschehen war, als ich mich nicht abseilte. Vielen Dank.«
    »Ich habe gar nichts erraten. Als ich erfuhr, daß mein Zimmer durchsucht worden war, wußte ich, daß sie wiederkommen würden. Groom hat sich natürlich gedacht, ich hätte ihm die Aufzeichnungen vor der Nase wegschnappen wollen. Ich habe den Schluß der Unterhaltung durch das Schlüsselloch mitbekommen.« Etwas zusammenhangslos fügte er hinzu: »Ein sonderbarer Mensch, dieser Groom, finden Sie nicht auch?«
    »Hm. Glauben Sie, er wollte mich wirklich erschießen?«
    »Aber ganz bestimmt.«
    »Und warum haben Sie ihn dann nicht erschossen?«
    »Weil ich es leider nicht über mich gebracht habe«, sagte er verlegen.
    Endlich kamen wir zum Sa’ Maria Prospek, wo wir stehenblieben. Ich gab ihm das Geld, das ich Nikolai abgenommen hatte, und zog dann Grooms Revolver aus der Tasche. Er schüttelte den Kopf.
    »Der kann Ihnen ganz nützlich sein«, sagte er. »Bereitsein ist alles.«
    Seufzend steckte ich den Revolver wieder ein. Die Verwandlung eines Journalisten in einen Desperado ist nicht so einfach, wie viele Leute glauben.
     
    Zehn Tage vergingen, bevor ich Carruthers wieder sah. Am Tage nach unserer Begegnung mit Groom machte mir der Offizier mit den rosa Augen und dem unbeholfenen Französisch einen Besuch, um zu erfahren, wo sich Carruthers aufhielt. Ich bestritt jegliches Wissen, und nach einem letzten, drohend gebrüllten »Où se trouve cet homme, Barstof?« verließ er mich mit dem ominösen Versprechen, wieder zu kommen. Ich blieb jedoch in Verbindung mit den Mitgliedern der Bauernpartei. Es war abgemacht worden, daß mich Beker täglich auf dem laufenden halten sollte, indem er zu verschiedenen Tageszeiten aus verschiedenen Telefonkabinen anrief. Da mein Telefon höchstwahrscheinlich abgehört wurde, blieben unsere Gespräche zwangsläufig unverbindlich, doch ich verstand, daß alles nach Plan verlief – nach Carruthers Plan – und daß gewisse Entwicklungen bald zu erwarten waren. Von der Gräfin und von Marassin sah und hörte ich nichts. Ich muß gestehen, daß ich mir ein bißchen abgeschnitten vorkam. Die Ereignisse der vergangenen Tage hatten mich so an dramatisches Geschehen gewöhnt, daß mir die Leere, nachdem ich mich gründlich ausgeschlafen hatte, anfing, auf die Nerven zu gehen. Zudem gab es nur wenig, was ich an die Jungen Bauern hätte weitergeben können, und ich verdächtigte Tumachin, daß er mich in Zellophan eingepackt aus dem Weg haben wollte, während seine Pläne heranreiften. Er tat gut daran, denn in dieser Zeit meines erzwungenen Müßigganges polierte ich mein Selbstgefühl auf, indem ich vorsichtige Berichte nach New York kabelte. Sie waren bei den gegebenen Umständen ziemlich sinnlos, und ich war nicht überrascht, als ich ein Eiltelegramm bekam, in dem man mich fragte, was mit mir los sei. Da saß ich nun in der Tinte. Zurückkabeln, daß ich hier auf eine Revolution wartete, kam nicht in Frage. Ganz sicher hockte irgendwo ein Zensor und las meine Korrespondenz. Ich ließ mir die Sache durch den Kopf gehen und schickte dann eine Depesche, die, wie ich

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