Der dunkle Grenzbezirk
hoffte, blödsinnig genug war, um als doppelsinnig aufzufallen. Ich telegrafierte:
ARTIKEL UEBER VOGELWELT IXANIENS FOLGT. VOEGEL VERLASSEN DEMNAECHST DAS NEST. VOGELELTERN SEHR SCHEU. CASEY.
Am andern Tag schon hatte ich die Antwort, die mich ermutigte:
KAPIERT. VOGELREPORTAGEN O. K. BITTE SO SCHNELL WIE MOEGLICH. TELEGRAFIEREN WENN GELD BENOETIGT. NASH.
Ich las den letzten Satz zweimal, dann verstand ich ihn. Sie wollten Näheres wissen über das Darlehen, das Ixanien aufzunehmen gedachte. Ich antwortete wie folgt:
MOMENTAN NOCH GENUG GELD. SCHICKT NICHTS MEHR. KOENNTE UNTERWEGS ABHANDEN KOMMEN. JUNGE VOEGEL FLUEGGE. ALTE IMMER NOCH ZU SCHEU. CASEY.
Ich hoffte durch die Blume gesagt zu haben, daß sie die Gelder sperren sollten und daß eine Revolution bevorstand. Die Antwort aus New York zeigte mir, daß sie mich verstanden hatten.
WARTEN AUF NACHRICHT BETREFFS GELD. ERFREUT UEBER JUNGVOEGEL. WUERDE GERN BEI ERSTEM AUSFLUG DABEI SEIN. WARTE AUF NEUIGKEITEN. NASH.
Das tat meinem Selbstgefühl gut, und in den nächsten beiden Tagen war ich bester Laune. Ich ließ mich sogar hinreißen und ersuchte um ein Interview über den östlichen Nichtangriffspakt, das mir die Gräfin in Aussicht gestellt hatte. Man teilte mir mit, daß sie nicht in der Stadt sei. Statt ihrer empfing mich Prinz Ladislaus. Er war einer jener Trottel, die in Uniform gut aussehen. Wäre die Gräfin bloß in der Nähe gewesen, so hätte er bestimmt nicht gewagt, auch nur den Mund aufzutun. So aber komplimentierte er mich in einen Sessel und gab mehr als anderthalb Stunden in wichtigtuerischem Ton die größten Albernheiten von sich. Ein Major aus dem Mittleren Westen hätte über das Thema östlicher Nichtangriffspakte Gescheiteres zu sagen gehabt. Ich war ziemlich erleichtert, als es vorüber war.
Zwei weitere Tage völliger Untätigkeit ließen mir selbst ein Interview mit Prinz Ladislaus als erstrebenswert erscheinen. Wenn ich nicht auf Bekers Anruf wartete, saß ich die Zeit in Cafés herum und las alte Nummern der Times , die der Vertreter der Tribune in Bukarest geschickt hatte. Eines Nachmittags setzte sich ein Mann neben mich. Ich sah auf und erkannte Beker. Ich war überrascht, ihn hier zu sehen, und sagte ihm das auch, als ich seinen Gruß erwidert hatte.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Casey«, sagte er. »Man kennt mich hier noch nicht. Ich komme vom Land. Ich war schon lange nicht mehr in Zovgorod. Verstehen Sie«, fügte er hinzu, und sein bärbeißiges Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, »außerdem trug ich früher einen Bart.«
»Wie geht es Barstow?« fragte ich.
Seine Augen leuchteten. Ich mußte mir ein langes Loblied über die Vorzüge des Professors anhören, sein Organisationstalent, sein taktisches Genie und seinen Erfindungsgeist. Tumachin, sagte Beker ohne die geringste Eifersucht, habe den Professor ins Herz geschlossen. Dann wurde er plötzlich verlegen, zögerte ein wenig. Ich wartete ab. Schließlich sprach er weiter, indem er seine Worte sehr sorgfältig abwog.
»Ihr Freund, der Professor, Monsieur, könnte es vielleicht sein, daß er eine Vorliebe fürs Makabre hat?«
Bei Carruthers war schlechthin alles möglich, aber ich fragte Beker, was er genau meine. Er wurde noch verlegener und sprach noch zögernder.
»Die Sache ist die, Mr. Casey, daß er in seiner Brieftasche ein Bild der Gräfin hat, eine Fotografie auf einer Postkarte. Sie müssen doch zugeben, daß das wirklich drôle ist, weil er sie doch genau so haßt wie wir andern auch.«
Ich erinnerte mich an Carruthers sentimentalen Anflug in der Nacht des Einbruchs.
»Vielleicht«, gab ich zu bedenken, »tut er das, um seinen Haß nicht zu vergessen.«
Er schüttelte feierlich den Kopf und begann dann, mir die Sache zu erklären. Ich kann mich nicht mehr genau an seine Worte erinnern, aber das Bild, das sie heraufbeschworen, war ziemlich deutlich: Carruthers schaute die Postkarte mit dem Bild der Gräfin stundenlang verliebt an. Dieses Anhimmeln konnte Beker sich nur auf eine Art erklären, daß Carruthers an einer perversen Fixierung auf die Gräfin litt. Er verbreitete sich ausführlich über Sinn, Bedeutung und Folgen einer solchen Fixierung, und das Wort ›makaber‹, das er verwendet hatte, war ein mildes Wort, wie mir schien, als ich hörte, zu welchen Schlüssen er und Tumachin gekommen waren. Ängstlich fragte er mich, ob ich nicht auch finde, daß er recht habe. Ich gestand seiner Deutung eine
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